Michael Krüger, als Verleger Stammgast in Stockholm, mahnt im Interview eine klügere und modernere Form des Literaturnobelpreises an und erklärt, wie eine ideale Jury aussehen sollte.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Als Verleger war Michael Krüger, der frühere Chef des Münchner Hanser-Verlags, auf den Literaturnobelpreis abonniert. Zehnmal wurden Autoren seines Hauses mit der begehrten und mit 750 000 Euro dotierten Trophäe geehrt. Schmerzlich empfindet er, wie sich die Schwedische Akademie zerlegt.

 
Herr Krüger, wie erleben Sie aus der Ferne das Nobelpreis-Fiasko?
Das berührt mich sehr, weil ich fast alle Beteiligten der Schwedischen Akademie persönlich kenne, mit einigen auch eng befreundet bin und ihre Werke schätze. Aber was da passiert, widerfährt allen Institutionen, die sich nie gefragt haben, ob die Bedingungen, unter denen sie arbeiten, nicht an die Moderne angepasst werden sollten. Und dabei geht es ja nicht nur um den Nobelpreis. Ein Institution wie die Schwedische Akademie gebietet ja auch über unendlich viele Stipendien und Förderungen.
Sollte man die Auszeichnung nach den jüngsten Entwicklungen nicht abschaffen?
Es ist eine Besonderheit, dass das kleine Schweden den weltweit höchsten Literaturpreis vergibt. Um so wichtiger wäre es, ihn von allen Schatten zu befreien. Das ist ein wunderbarer alter Preis, es gibt überhaupt keinen Grund, an seiner Existenz zu zweifeln. Man sollte sich eine zeitgemäße Verfassung geben, aber auf gar keinen Fall den Preis als solchen infrage stellen. Im Moment geht es darum, den Ruf der Akademie zu retten. Sie muss sich eine klügere, zeitgemäße Form geben, damit die Entscheidung, wer denn ausgezeichnet wird, über jeden Verdacht erhaben ist.
Wie könnte das aussehen?
Ein paar neue Mitglieder sind notwendig. Man sollte mehr darauf achten, wer in die Akademie gewählt wird, und nicht nur, wer mit wem befreundet ist. Da sitzen zum Teil sehr alte Leute drin, die mit Literatur im engeren Sinn nichts zu tun haben. Das ist alles ziemlich verkrustet. Man sollte kleinere Gruppen bilden, die heftig miteinander diskutieren.
Ist eine lebenslange Akademie-Mitgliedschaft nicht überholt?
Die Mitglieder müssten meines Erachtens ab einer Altersgrenze von 75 Jahren nicht notwendig aus der Akademie ausscheiden, aber sie sollten kein Stimmrecht mehr haben. Dafür sollten neue Mitglieder mit Stimmrecht nachrücken. Bestimmte wichtige Autoren sind nie in das Gremium gewählt worden. Ich glaube nicht, dass man bei der Literatur, wo es eminent auf Geschmacksfragen ankommt, sein Leben lang die richtigen Entscheidungen trifft. Ich weiß ja selbst aus Jury-Sitzungen, wie das ist: Plötzlich gibt es einen anderen Geschmack, plötzlich werden andere Autoren gehandelt. Da ist als Juror dann Zeit zu überlegen: Entweder will ich bewusst ein konservatives Bollwerk bilden oder ich trete aus. Man muss ja nicht in allen Jurys dabei sein.
Die Metoo-Bewegung fegt auch in Stockholm gerade über die angemaßten Machtbefugnisse alter Männer hinweg.
Ob der Ehemann eines Mitglieds Frauen an den Hintern gegriffen hat, müssen Gerichte klären, ebenso die Frage, ob die Namen der Preisträger im Voraus weitergegeben wurden und Juroren bestochen wurden. Doch Metoo hat mit den eigentlichen Problemen des Preises nur am Rand zu tun.