Das Zahnradbahngespräch mit Prominenten aus dem Sport: auf dem Weg nach oben erzählen sie von ihren Karrierehöhepunkten, auf dem Weg nach unten von Tiefpunkten – dieses Mal spricht Fredi Bobic, der Ex-Sport Chef des VfB.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Fredi Bobic ist Profi, Zahnradbahnprofi. Und in dieser Funktion kommt der ehemalige Spieler und Manager des VfB Stuttgart, wie es sich gehört, mit der Zahnradbahn zum Zahnradbahngespräch. Von seinem Wohnort in Degerloch ist er kurz mal hinuntergefahren zum Treffpunkt am Marienplatz. „Ich habe schon als Jugendlicher oft die Zacke benutzt“, sagt der 43-Jährige, der einst als Kaufhof-Lehrling auf diesem Weg zum Training bei den Stuttgarter Kickers gefahren ist. „Ich bin an der Nägelestraße ausgestiegen, und durch den Wald ging’s rüber zum Königsträßle.“ Und dann erzählt Bobic von seinem Faible für die öffentlichen Verkehrsmittel in Stuttgart, für die er auch schon in einer Plakatkampagne geworben hat: „Aber auch als Spieler in Berlin bin ich häufig mit der Bahn zum Training gefahren und war damit ein ziemlicher Exot.“

 

Nach der Begrüßung auf dem Marienplatz steigt Fredi Bobic wieder in die Zahnradbahn und wird jetzt auch noch vom Zackefahrer per Handschlag in Empfang genommen. Und ein Fahrgast, der sich als VfB-Fan zu erkennen gibt, ruft mit kehliger Stadionstimme rüber: „Fredi, halt uns aber trotzdem die Treue.“ Das Trotzdem liegt jetzt drei Monate zurück. Seinen Rauswurf als Sportvorstand scheint Bobic aber weggesteckt zu haben. So entspannt und gut gelaunt hat man ihn beim VfB jedenfalls zuletzt nie erlebt. Über seinen Ex-Verein will der ehemalige deutsche Nationalstürmer jetzt aber noch nicht reden. Sein Zackefahrplan, auf dem die Höhe- und Tiefpunkte einer Sportlerkarriere stehen, sieht nämlich zunächst anders aus. „Das Auf und Ab, diese extreme Schnelllebigkeit des Fußballgeschäfts, lässt sich beispielhaft an 15 Monaten in meiner Karriere ablesen“, sagt Fredi Bobic, als sich die Zahnradbahn Richtung Degerloch in Bewegung setzt.

Das Problem mit dem veröffentlichten Gehaltszettel

Spätsommer 2001: Bobic geht in seine dritte Saison bei Borussia Dortmund und merkt, dass er unter dem Trainer Matthias Sammer nicht mehr zum Zug kommt. Die Dortmunder Stürmerstars heißen jetzt Marcio Amoroso, Ewerthon und Jan Koller und nicht mehr Fredi Bobic. Dessen Wechsel nach Spanien zum FC Villarreal zerschlägt sich in letzter Sekunde. „Und dann geht die ganze Sache los“, erinnert sich Bobic. „Ein Praktikant bei der Deutschen Bank hatte der „Bild“- Zeitung meinen Gehaltszettel zugespielt. Der wurde abgedruckt und die Schlagzeile dazu lautete: Deutschlands teuerster Ladenhüter.“ Was folgte waren regelmäßig eingeworfene Scheiben am  Auto und Drohbriefe mit der Aufforderung: Hau ab!

„Sicherheitshalber ist meine Frau mit unseren beiden Töchtern zurück ins Remstal gezogen. Und ich bin dann auch weg.“ Zunächst nach England. „Meine Insel der Glückseligkeit“, sagt Fredi Bobic, der an die Bolton Wanderers ausgeliehen wird und mit einem Hattrick im Spiel gegen Ipswich Town den Klassenverbleib in der Premier League sicherstellt. Am Jahrestag dieses Spiels ist er in England immer noch ein gefragter Interviewpartner.

Das Zusammenspiel von Vereinstradition und modernen Geschäftsmodellen hat es Bobic angetan. „2002 war in der Premier League alles schon so perfekt organisiert wie heute in der Champions League“, sagt der schwäbische Sohn eines Slowenen und einer Kroatin, der seine Kontakte in England pflegt.

Bobic und die Studententruppe

Damals ging es für Bobic von England wieder zurück nach Deutschland – zum Aufsteiger Hannover 96 mit dem Trainer Ralf Rangnick. „Das war eine unerfahrene Studententruppe, in der ich mich aber sehr wohlgefühlt habe.“ So wohl, dass er in 27 Bundesligaspielen 14 Tore erzielte und von Rudi Völler nach langer Zeit wieder in die Nationalmannschaft berufen wurde. Am 20. November 2002 gab er im Testspiel gegen die Niederlande sein Comeback und erzielte auch gleich das deutsche Tor bei der 1:3-Niederlage. Und die „Bild“ titelte zum Bild von Fredi Bobic: „11 Millionen Deutsche sehen seinen Sieg“.

Punktlandung. Die Zahnradbahnfahrt nach Degerloch und zurück zum Marienplatz ist beendet und gleichzeitig auch Fredi Bobic’ Erzählung über sein Auf und Ab innerhalb von rund 500 Tagen. „Seitdem kann ich Niederlagen und Erfolge einordnen“, sagt er. Höhepunkte wie der EM-Titel 1996 mit der DFB-Auswahl und der Pokalsieg 1997 mit dem VfB sind für ihn mittlerweile nicht mehr als schöne Erinnerungen. Allein ein Spiel findet er noch erwähnenswert: „Meine Bundesliga-Premiere 1994 beim VfB. Es war ein Freitagabendspiel gegen den Hamburger SV. Ich wurde spät eingewechselt und erzielte in der Schlussminute gegen Uli Stein den 2:1-Siegtreffer. In diesem Moment ist der Traum in Erfüllung gegangen, den ich als Kind immer hatte. Ich wusste, dass ich es geschafft hatte.“

Aber nun zu einem Tiefpunkt, der nicht mehr in der Zahnradbahn, sondern im Café Kaiserbau erörtert werden soll: die Entlassung als Sportvorstand des VfB Stuttgart. Für Fredi Bobic ist das allerdings nur eine Episode in seiner Karriere, nicht der ganz großen Rede wert. Es gehört zu den Charaktereigenschaften von Fredi Bobic, nicht besonders nachtragend zu sein. Nicht gegenüber der „Bild“-Zeitung nach ihrer Ladenhüter-Nummer, nicht seinem Zacke-Gegenüber von der Stuttgarter Zeitung, das sich kritisch zu seiner Arbeit geäußert hat und auch nicht gegenüber der VfB-Vereinsführung, die sich telefonisch von ihm getrennt hat, weil er bereits zum bevorstehenden Auswärtsspiel nach Dortmund gereist war. Stillos fand er die Art und Weise allerdings schon.

Den VfB schaut sich Bobic immer noch an

Wenn dann gleich treten, nicht groß nachtreten. So hat es Bobic schon als Spieler gehalten, als er ausgeteilt und eingesteckt hat. „Mit dem Schlusspfiff war alles wieder gut, ich habe meinem Gegenspieler in die Augen geschaut und ihm die Hand gegeben“, sagt er und spricht dann unerwartet emotionslos über seinen Rauswurf: „Ich habe doch gewusst, dass es im Fußball keinen Abgang auf dem ausgerollten roten Teppich gibt. Überhaupt: was soll ich mich jetzt beklagen? Wir fallen doch sehr weich, haben keine existenziellen Sorgen. Man sollte sich nicht zu wichtig nehmen. Der Ball rollt auch ohne einen weiter – an jedem verdammten Wochende“, sagt Fredi Bobic, der USA-Fan, dem gerade der Football-Film „An jedem verdammten Sonntag“ mit Al Pacino und Dennis Quaid in den Sinn gekommen ist.

Den VfB schaut er sich aber auch noch an und stellt sich dann schon die Frage: „Warum kann diese Mannschaft ihr Potenzial nur selten ausschöpfen?“ Spannender findet Fredi Bobic im Moment aber andere Fragen: „Wie geht es bei mir weiter? Welche Tür öffnet sich?“ Und passend zum Zahnradbahngespräch: „An welcher Haltestelle steige ich ein?“

Jetzt genießt er aber erst einmal die stressfreie Zeit, war beim Geburtstag seiner älteren Tochter, die 18 wurde, auch einmal live dabei. Reiste mit der Familie in den Herbstferien nach New York und macht sich Gedanken über die Zukunft des Fußballs. „Wir werden alle Leipzig“, lautet dabei ein erstes Fazit. Bobic ist überzeugt davon, dass bald nur noch Fußballvereine oben mithalten können, die sich einem Partner wie Red Bull ganz verschreiben.

Fredi Bobic hat den Milchkaffee und das Mineralwasser ausgetrunken, jetzt noch eine Zigarette vor der Tür. Und dann steigt er an diesem Tag zum dritten Mal in die Zahnradbahn, um nach Hause zu fahren. „Man sieht sich“, sagt er zum Abschied.