Eine Frau irrt über die dunkle Autobahn bei Merklingen. Kurz darauf wird klar: die Frau aus Bad Diztenbach hat eine grausige Tat begangen. Seit Mittwoch versucht das Ulmer Landgericht ein unfassbares Familiendrama aufzuarbeiten.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm/Bad Ditzenbach - Die Angeklagte will sprechen, trotz der vielen Zuschauer im vollen Schwurgerichtsaal von Ulm. Sie ist aus dem psychiatrischen Krankenhaus Bad Schussenried hergebracht worden, in dem sie seit ihrer Festnahme wegen schwerer Psychosen behandelt wird. Mit hoher, gleichförmiger Stimme und in kurzen Sätzen erzählt die 36-Jährige, wie sie am 19. Oktober des vergangenen Jahres gegen 22 Uhr ihr Auto an einer Baustelle an der Autobahn 8 bei Merklingen stoppte, in dem ihre beiden Kinder auf der Rückbank fest schliefen. Sie hatte ihnen zuvor Schlaftabletten verabreicht. Dann habe sie zugestochen, gesteht die Frau. „Was ging in ihrem Kopf vor?“, fragt der Ulmer Richter Gerd Gugenhan. „Ich wollte einfach sterben und wollte meine Kinder nicht allein lassen. Ich wollte einfach, dass das alles aufhört“, lautet ihre Antwort. „Ich wollte das nicht.“ Ihre Stimme versagt unter Tränen, die Sitzung wird unterbrochen.

 

Zum Prozessauftakt hat der Oberstaatsanwalt Rainer Feil die zuletzt in Bad Ditzenbach (Kreis Göppingen) wohnhafte Frau des Totschlags und versuchten Totschlags „im Zustand erheblicher Schuldunfähigkeit“ angeklagt und, im Fall einer Verurteilung, die Unterbringung in einer Psychiatrie gefordert. Die Frau sei eine Gefahr für die Allgemeinheit, so die Anklage. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft plante die 36-Jährige die Tötung ihrer Kinder im Gefühl einer „allumfassenden Verschwörung“ gegen ihre Familie. Die Tatwaffe war ein Küchenmesser mit 16 Zentimeter Klingenlänge. An der A 8 starb im vergangenen Herbst die Tochter der Angeklagten im Alter von elf Jahren. 26 Stiche hatten das Kind getroffen. Auf den zweijährigen Sohn stach die Frau ebenfalls mehrfach ein; Notärzte konnten das Leben des Jungen dennoch retten.

Die Frau will sich überfahren lassen

Im Glauben, beide Kinder seien tot, habe die Angeklagte versucht, sich selbst das Leben zu nehmen, so die Anklageschrift. Zunächst habe sie sich mehrfach in ihre Arme und die Brust geschnitten. Dann sei sie auf die Autobahn gelaufen, um sich überfahren zu lassen. Doch der Plan misslang.

„Stimmen die Vorwürfe des Oberstaatsanwalts?“, fragt der Richter. „Ja“, antwortet die 36-Jährige. Sie erzählt von ihrer Vorgeschichte – wie sie vor sechs Jahren mit den Kindern wegen des Arbeitswechsel ihres Ehemannes in die Schweiz zog. Es sei schön dort gewesen, so die Angeklagte. Aber im Februar 2013 sei die Kriminalpolizei mit einem Durchsuchungsbefehl aufgetaucht. Der Ehemann hatte einen Kollegen umgebracht und wurde verhaftet. Ein Schweizer Gericht verurteilte ihn zu 13 Jahren Haft. Weil sie weder Geld und noch eine Aufenthaltserlaubnis hatte, zog die 36-Jährige daraufhin nach Bad Ditzenbach, in die Nähe ihrer Eltern und Schwiegereltern.

Überall fühlt sie sich als Frau des Mörders

Die Folgemonate schildert die Frau als einen inneren Zusammenbruch. 2013 sei sie zwei Wochen stationär in einer Psychiatrie gewesen, danach habe sie weiter eine Praxis besucht und sei auch medikamentiert worden. „Hat Ihnen das was gebracht?“, fragt Gugenhan. „Nicht wirklich“, sagt die 36-Jährige. Von ihren Psychosen berichtet sie ohne jede Distanz, als gäbe es bis heute eine Verschwörung. „Egal wo wir hingelaufen sind, es wurden Fotos von uns geschossen. Mit dem Handy“, so die Angeklagte. Im Internet seien Bilder und Texte aufgetaucht, „die darauf schließen lassen, dass mein Mann ein Mörder ist“. Auch wenige Stunden vor der Bluttat, an einer Autobahnraststätte, seien sie und die Kinder fotografiert worden. „Ich wollte zu Gott“, sagt die Frau. Der Prozess dauert mindestens bis Ende Juni.