Wo ansonsten böse Buben untergebracht sind, ertönte Kindergeschrei: Das Kinderferienprogramm der Stadt Stuttgart hat die Teilnehmer ans Amtsgericht in Bad Cannstatt geführt – und in die Zelle.

Stuttgart - Wie es sich anfühlt, Gefangener in einer echten Gefängniszelle zu sein? Das bekommen die kleinen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Morgen ganz deutlich zu spüren. Die Kinder drängen sich im Keller des Amtsgerichts in Bad Cannstatt in eine der vier Zellen, dann verriegelt der Justiz-Wachtmeister Benjamin Weber die Tür. Drinnen beginnen die Kinder zu kreischen. Ein fröhliches Geschnatter ertönt, schließlich wissen sie, dass sie gleich wieder raus dürfen.

 

So einen Einblick bekommen die Kleinen nicht alle Tage, sondern nur beim Kinderferienprogramm der Stadt Stuttgart. Der Besuch des Amtsgerichts für Kinder zwischen acht und zwölf Jahren ist schon lange ein fester Bestandteil des Ferienprogramms und regelmäßig ausgebucht. Organisiert wird das Ganze von der Zeugen- und psychosozialen Prozessbegleitung der Bewährungshilfe Stuttgart. „Bei Playmobil gibt es den Polizisten und den Gauner – aber es gibt keinen Gerichtssaal“, sagt der Sozialpädagoge Christian Veith, der als psychosozialer Prozessbegleiter arbeitet. Den gilt es den Kindern nahe zu bringen: An diesem Tag und bei seiner Arbeit, bei der er Kinder und Jugendliche, die eine Straftat entweder gesehen haben oder Opfer einer solchen geworden sind. Besonders belastete junge Zeugen begleitet er während des gesamten Strafverfahrens – von der Anzeige bis zum rechtskräftigen Urteil. Der Beginn von Veiths Tätigkeit in jedem Fall ist ähnlich, wie an diesem Vormittag: Er läuft mit Kindern durch das Gerichtsgebäude, klopft an die Türen der Mitarbeiter, beantwortet Fragen und versucht, den Kindern die Angst zu nehmen.

Am Ende wird ein Gerichtsprozess simuliert

Auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ferienprogramms haben viele Fragen an Veith und den stellvertretenden Verwaltungsgerichtsleiter Dirk Übbing, der seit 14 Jahren im Rahmen des Programms durch das Gericht führt. Wie viele Akten hinter der Tür im Keller lagern? „Drei Kilometer“, sagt Übbing. Die Akten reichten bis über die Karlsbrücke. Von wann ist die älteste? „Aus dem Jahr 1935.“

Am Ende dürfen die Kinder in die Gerichtssäle, zunächst in den kleineren, in dem die Zivilverfahren verhandelt werden, schließlich in den großen für die Strafverfahren. Dort steht Strafrichterin Melanie Dawidowsky Rede und Antwort und spielt als Abschluss des dreistündigen Aufenthalts am Amtsgericht ein Verfahren mit den Kindern durch. In verteilten Rollen wird über das Strafmaß für einen geständigen CD-Dieb verhandelt. Letztlich muss er vierzig Arbeitsstunden im Garten des Kaufhausdetektivs leisten.