Die Waiblingerin Aygül Aras hat den Spielfilm „Bergblumen“ produziert. Mit kurdischen Laiendarstellern besetzt, folgt der Film ihrer Kindheit in Anatolien. Sie selbst spielt die Großmutter eines Mädchen, das unbedingt zur Schule gehen will.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Waiblingen - Schimpfend marschiert Großmutter Daqile durch die Nacht. Die erboste Frau spart nicht mit Kraftausdrücken, mit denen sie ihren Sohn bedenkt. „Wäre er ein Mann“, ruft sie in die Finsternis, „wäre ihm die Frau nicht davon gelaufen!“ Ein weiterer Schwall Verwünschungen folgt, denn der Sohn hat ihrer Enkelin Beser erlaubt, in die Schule zu gehen. Dort, so fürchtet die Bäuerin, wird Beser durch das türkische Schulsystem ihre kurdischen Wurzeln vergessen und dem alevitischen Glauben entfremdet werden.

 

Der Film „Vilika Kowu – Bergblumen“ ist im vergangenen Winter in der Stadt Dersim gedreht worden, der Heimatstadt Aygül Aras’, die nicht nur Großmutter Daqile überzeugend spielt. Die Waiblingerin hat auch die Idee zu dem Film geliefert, den der kurdische Regisseur Caner Canerik komplett mit Laiendarstellern drehte. Wer Aygül Aras kennt, und das sind in Waiblingen sehr viele, erkennt sie kaum wieder. Die sonst so zurückhaltende, ruhige Frau hat sich im Film in eine verbitterte Alte verwandelt, die allem mit Misstrauen begegnet, was ihrer Welt in irgendeiner Weise gefährlich werden könnte.

Ein Plädoyer für die Kultur der Kurden

Grund dazu hat die Frau genug, denn die kurdischen Aleviten werden seit Jahrhunderten wegen ihres Glaubens und ihrer Kultur angefeindet. 90 Prozent der Bevölkerung Dersims sind Aleviten. Der Druck ist enorm, der seit den 30er-Jahren von der Regierung der türkischen Republik auf sie ausgeübt wird. Kemal Atatürks Vorstellung eines säkularen Nationalstaates sollte die verschiedenen Volksgruppen einen, doch die Art und Weise der Umsetzung – unter Zwang – führte bereits zwei Jahre nach der Staatsgründung zu einem ersten Aufstand.

„Wir durften in der Schule nicht kurdisch sprechen“, erzählt Aygül Aras den Zuschauern des Films im vollen Saal des Waiblinger Kulturhauses Schwanen, wo am Samstag die Filmpremiere stattgefunden hat. „Wenn wir erwischt wurden, hat uns der Lehrer geschlagen.“ So ergeht es auch der neunjährigen Beser, deren sehnlichster Wunsch in Erfüllung geht, als sie endlich zur Schule gehen darf. Doch immer wieder wird sie von der Lehrerin gedemütigt. „Ihr lebt halt im Stall“, sagt die frustrierte junge Frau, die es aus der Stadt in das anatolische Hochland verschlagen hat, zu Menschen, die ihr völlig fremd sind. Isoliert sitzt sie in ihrem Haus und starrt aus dem Fenster, ihre Frustration lässt sie an den Kinder aus.

Das Premierenpublikum ist von dem Film überwältigt

„Das ist ganz großes Kino“, sagt ein Zuschauer. Mit minimalen Mitteln hat Caner Canerik den Film gedreht, finanziert durch Aygül Aras und ihre Schwester. Canerik hatte Aygül Aras bereits zwei Mal interviewt, als sie für den Verein „Freunde helfen Freunden“ Hilfsgüter in die Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen Grenze transportiert hatte. „Ich habe ihm von meiner Kindheit erzählt und so entstand auf dem Rückweg die Idee zu dem Film“, erzählt Aygül Aras. „Bevor ich zurückgeflogen bin, habe ich meine Rolle gespielt.“

Die Hauptdarstellerin ist ein schaupielerisches Naturtalent

Beeindruckende Bilder vom verschneiten anatolischen Hochland sind die Kulisse des Films, der sich Zeit nimmt, den Zuschauer in diese Welt einzuführen. Statt Musik hört man Alltagsgeräusche, was „Vilika Kowu“ fast den Charakter eines Dokumentarfilms gibt. Und dann ist da noch die neunjährige Mevla Dalgüc als Beser, ein schauspierleisches Naturtalent, das die Gefühle des hin und her gerissenen Mädchens auf der Leinwand zu leben scheint und das Publikum durch ihre Darstellung begeistert. „Ich fühle mich an meine Kindheit erinnert“, sagt eine bewegte Zuschauerin, die aus der selben Gegend stammt.

Der Film ist für den Wettbewerb beim 26. Internationalen Filmfestival in Ankara 2015 nominiert. Der Schwanen-Chef Cornelius Wandersleb will nach dem großen Erfolg „Vilika Kowu“ spontan noch einmal zeigen. Ein Termin dazu steht bisher allerdings noch nicht fest.