Der Mehrheitsbeschluss der EU-Innenminister zur Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen sorgt für Unmut. Die Slowakei will dagegen sogar rechtlich vorgehen. Derweil leitet die EU-Kommission ein Verfahren wegen Mängeln im Asylrecht gegen Deutschland ein.

Berlin/Brüssel - Trotz eines Beschlusses zur Verteilung von 120 000 Flüchtlingen in Europa streitet die EU weiter über den richtigen Kurs in der Asylpolitik. Unmittelbar vor dem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs zur Flüchtlingsfrage am Mittwoch wurde neue Kritik am Mehrheitsbeschluss der EU-Innenminister vom Vorabend laut. Die Slowakei will sich nicht daran halten. Zugleich wuchsen die Spannungen rund um die gesperrten Grenzübergänge zwischen Kroatien und Serbien. In Deutschland forderten Ministerpräsidenten der Länder vor einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mehr Hilfen vom Bund für Unterbringung und Integration der Neuankömmlinge.

 

Merkel rief zum gemeinsamen Handeln Europas in der Flüchtlingskrise auf. „Wer vor Krieg und politischer Verfolgung flieht, kann in Europa Zuflucht finden - ich sage in Europa“, betonte Merkel angesichts der zunehmenden Spannungen am Dienstagabend in Berlin. Die Herausforderungen müssten „mit offenem Herzen“ angegangen werden. Litauens Parlamentspräsidentin Loreta Grauziniene kritisierte unterdessen Merkels Flüchtlingspolitik. Die Zusage, so viele Flüchtlinge wie möglich aufzunehmen, sei ein „Fehler“ gewesen. Nach Merkels „Einladung“ sei die Bewegung „unkontrollierbar“ geworden.

Slowakei erwägt Klage

Gegen den Widerstand von vier Ländern hatten die Innenminister der 28 EU-Staaten am Dienstag eine Verteilung von Flüchtlingen in Europa beschlossen. Ungarn, Rumänien, Tschechien und die Slowakei wurden dabei überstimmt – sonst fielen wichtige Entscheidungen in der europäischen Asylpolitik stets im Konsens aller Staaten. Die Slowakei kündigte umgehend einen Konfrontationskurs gegen die EU-Partner an: „Lieber gehe ich in ein Strafverfahren gegen die Slowakei als dass ich dieses Diktat respektiere“, sagte der sozialdemokratische Regierungschef Robert Fico in Bratislava.

Tschechiens Ministerpräsident Bohuslav Sobotka kündigte an, sein Land werde auf rechtliche Schritte gegen den Beschluss verzichten. Europa dürfe in der Flüchtlingskrise nicht zerfallen. „Ich möchte daher die Spannungen mit Klagen nicht weiter steigern“, sagte Sobotka. Der tschechische Präsident Milos Zeman äußerte die Hoffnung, dass der EU-Sondergipfel die Mehrheitsentscheidung revidieren werde.

Polen hatte seinen Widerstand gegen den EU-Plan aufgegeben und wird etwa 4500 Flüchtlinge aufnehmen. Europaminister Rafal Trzaskowski sagte, Polens wichtigsten Bedingungen seien erfüllt worden: „Polen wird das Recht haben, Personen abzuweisen, bei denen auch nur der Schatten eines Verdachts besteht, dass sie die Sicherheit des Staates gefährden könnten.“ Die Opposition nannte die Zustimmung der Warschauer Regierung zu dem EU-Plan „skandalös“.

40 Verfahren wegen Mängeln in der Asylpolitik

Ungarns Regierungschef Viktor Orban, der ebenfalls als entschiedener Gegner einer europäischen Quotenregelung gilt, war auf dem Weg zum EU-Gipfel in Brüssel bei der Herbstklausur der CSU-Landtagsfraktion im oberfränkischen Kloster Banz zu Gast. Einige Dutzend Politiker und Anhänger von SPD, Grünen und Linkspartei demonstrierten am Mittwoch vor dem Taggungsort mit Plakaten, Trillerpfeifen und einem kurzen Stück Stacheldrahtzaun gegen die CSU-Einladung an Orban.

Unmittelbar vor dem Sondergipfel kündigte die EU-Kommission insgesamt 40 Verfahren gegen 19 Mitgliedstaaten wegen Mängeln in der Asylpolitik an, darunter auch Deutschland. Die Länder hätten die EU-Asylgesetzgebung nicht korrekt umgesetzt, hieß es Mittwoch in Brüssel. Deutschland wird gerügt, weil es die EU-Richtlinien zu Asylverfahren und zur Aufnahme von Asylbewerbern in der Praxis ungenügend beachtet habe. Darin sind etwa Mindestnormen für die Aufnahme von Asylsuchenden festgelegt.

Neben Deutschland sind andere große Staaten wie Frankreich und Spanien betroffen, sowie Länder mit vielen ankommenden Flüchtlingen wie Griechenland und Ungarn. Die Staaten erhalten ein Mahnschreiben und haben zwei Monate Zeit, darauf zu antworten. Falls sie nach Ansicht der EU-Kommission die gemeinsamen Asylgesetze dann immer noch nicht ordnungsgemäß umsetzen, droht ihnen eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Dieser kann in letzter Konsequenz Strafen verhängen.

Die Kommission will zudem vorschlagen, die Hilfe für die Türkei zur Aufnahme von Flüchtlingen auf bis zu eine Milliarde Euro aufzustocken, teilte der für Nachbarschaftspolitik verantwortliche EU-Kommissar Johannes Hahn auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit.

Serbien wirft Kroatien „wirtschaftliche Aggression“ vor

Serbien beschuldigte seinen Nachbarn Kroatien derweil, mit der Schließung von Grenzübergängen in der Flüchtlingskrise „eine Art Handelskrieg“ und „wirtschaftliche Aggression“ zu betreiben. Das habe es nur zu Zeiten der Jugoslawienkriege in den 90er Jahren gegeben, kritisierte der serbische Außenminister Ivica Dacic. Kroatien will Serbien mit der Schließung der Übergänge zwingen, nicht länger Zehntausende Flüchtlinge an die Grenze zu bringen.

In Deutschland positionierten sich unterdessen die Länder für ihre Verhandlungen mit dem Bund über die Finanzierung der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kündigte an, sein Land erhöhe die Mittel für den sozialen Wohnungsbau von 40 Millionen Euro auf 70 Millionen Euro. Woidke forderte wie sein Amtskollege und Parteifreund Erwin Sellering aus Mecklenburg-Vorpommern mehr Unterstützung vom Bund.