Der Großflughafen BER entwickelt sich zur Dauerbaustelle. Vor der Aufsichtsratssitzung am Donnerstag zeichnet sich ab, dass der neue Eröffnungstermin im März 2013 nicht zu halten ist. Doch wer ist verantwortlich für das Desaster? Und wie geht es weiter?

Berlin - Der neueste Witz über den Berliner Großflughafen BER lautet: Die Hauptstadt hat den einzigen Airport der Welt, den man nur auf dem Landweg erreichen kann. Aber Galgenhumor kann nicht über ein Desaster hinwegtäuschen, das Milliarden kostet und das Image der Stadt ruiniert – und dessen Ende nicht absehbar ist. Am Donnerstag tagt der Aufsichtsrat.

 

Es mehren sich die Hinweise, dass auch der neue Starttermin am 17. März 2013 nicht zu halten ist. Der Aufsichtsrat der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB), die dem Bund und den beiden Ländern gehört, wird auch darüber am heutigen Donnerstag beraten. Schon in den letzten Wochen verlautete aus informierten Kreisen, dass man länger für die Prüfungen der Planungs- und Baumängel brauche und womöglich erst bei der nächsten Sitzung im September klar ist, ob die Eröffnung ein weiteres Mal verschoben werden muss. Das wäre nichts Neues.

Die Geschichte des neuen Hauptstadtflughafens strotzt vor Fehlschlägen und Skandalen. Schon vor 20 Jahren begannen nach dem Mauerfall die Planungen für einen Airport, der die Landeplätze in Tegel, Tempelhof und Schönefeld (alt) ersetzen sollte. Nach damaligen Festlegungen müsste der Airport schon mehr als zehn Jahre in Betrieb sein. Doch bis heute hob keine Maschine ab, der Starttermin wurde mehrfach verschoben. Nach Informationen des Verkehrsexperten der Grünen, Anton Hofreiter, wird auch der 17. März 2013 nicht zu halten sein. Die FBB dementiert das noch.

Wieso kann niemand einen neuen Termin nennen?

Vor drei Monaten teilte die Flughafengesellschaft überraschend mit, dass der Flughafen nicht wie geplant am 3. Juni eröffnen kann. Es entstand schnell großer Druck, einen neuen Termin zu nennen: den 17. März 2013. Aber schon bei seiner letzten Sitzung am 22. Juni hat der Aufsichtsrat angekündigt, den Termin noch einmal zu überprüfen. Denn inzwischen wurden der Technikchef der Baustelle, Manfred Körtgen, und der Generalplaner entlassen.

Die Arbeiten auf dem Flughafen kamen zeitweise praktisch zum Erliegen. Insider berichteten von unvollständigen Unterlagen und Planungschaos. Der neue Technikchef, Horst Amann, hat seine Arbeit erst zum 1. August begonnen – und ist derzeit noch dabei, sich ein konkretes Bild von der Lage zu machen. Die Verantwortlichen dringen genauso wie die betroffenen Fluggesellschaften und Gewerbetreibenden darauf, lieber einen späteren, dafür aber vor allem verlässlichen Eröffnungstermin zu bekommen. Nach Informationen aus Gesellschafterkreisen wird der Aufsichtsrat frühestens im September festlegen, wann der Flughafen eröffnet wird. Es ist bereits von 2014 die Rede.

Welche technischen Probleme behindern die Eröffnung?

Als Begründung wurde offiziell vor allem die Brandschutzanlage im Terminal genannt, die bisher die Vorschriften nicht erfüllt. Dabei geht es besonders um die unterirdischen Entlüftungsanlagen, die bei einem Feuer den giftigen Rauch schnell beseitigen sollen. Das muss auch bei Stromausfällen garantiert sein, was Notstromaggregate leisten sollen.

Weil das bisher nicht voll zufriedenstellend funktionierte, verweigerte die Bauaufsicht die Abnahmen. Zuletzt sollen Tests nach FBB-Angaben aber erfolgreich verlaufen sein. Die endgültigen Abnahmen sind bis Jahresende vorgesehen. Das sind aber nicht die einzigen Probleme, wie in den letzten Monaten herauskam. Auch in anderen Bereichen soll es erhebliche Verzögerungen und Hindernisse geben.

Was kostet die Verschiebung und wie teuer wird der Flughafen?

Konkrete Zahlen zu den Kosten der Verschiebung gibt es bisher nicht. Klar ist nur, dass es richtig teuer wird. Denn die zwei bisherigen Flughäfen Tegel und Schönefeld (alt), die eigentlich schließen sollten, müssen seit Juni weiter betrieben werden, während die geplanten Einnahmen beim BER fehlen, aber hohe Kosten und Zinsen aufgelaufen sind. Schätzungen gehen von mindestens 300 Millionen Euro Mehrkosten für die Betreiberfirma FBB wegen der Verschiebung aus.

Würde der Termin erneut verschoben, wird es noch teurer. Die FBB räumte bereits ein, dass ihre Liquidität nur noch bis zum Jahresende gesichert sei. Baufirmen und Lieferanten bestehen daher angeblich auf Vorkasse oder Sicherheiten. Rund 500 betroffene Firmen haben laut Medienberichten schon Nachforderungen wegen der Terminverschiebung gestellt.

Die Kosten für das Gesamtprojekt sind völlig aus dem Ruder gelaufen. Experten erwarten inzwischen Gesamtkosten von deutlich mehr als sechs Milliarden Euro, ein Vielfaches der früher genannten Summen. Für Beobachter ist das keine Überraschung. Infrastrukturprojekte werden weltweit regelmäßig viel teurer als geplant. Denn oft rechnen die Befürworter die Kosten klein, bis die Vorhaben und ihre Finanzierung politisch genehmigt sind. Das gilt auch für Berlin.

Wer ist schuld am Desaster?

Darüber gehen die Meinungen naturgemäß auseinander. Gesellschafter sind die Länder Berlin und Brandenburg zu gleichen Teilen sowie der Bund – und natürlich sind alle Gesellschafter im Aufsichtsrat als zuständigem Kontrollgremium vertreten, darunter die Ministerpräsidenten Klaus Wowereit und Matthias Platzeck sowie der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Rainer Bomba. Alle drei argumentieren, ihre Kontrollmöglichkeiten seien begrenzt. Jeder Bauherr müsse darauf setzen, dass Fachleute verlässliche Vorgaben machen.

Bisher sind die Beteiligten eine Erklärung dafür schuldig geblieben, wie es sein kann, dass solche eklatanten Missstände und Verzögerungen den Verantwortlichen über viele Monate entgehen. Aus dem Aufsichtsrat wird zwar berichtet, besonders Wowereit habe stets intensiv nach Problemen gefragt. Andererseits: beim Blick auf die Controllingberichte, in denen sehr deutlich auf Risiken und Schwierigkeiten hingewiesen wird, stellt sich die Frage, wie so lange an dem Eröffnungstermin festgehalten werden konnte. In Berlin wird von Ende August an ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss versuchen, die Schuldfrage zu klären.

Wackelt Wowereits Bürgermeistersessel?

Der politisch größte Druck lastet auf Wowereit, nicht nur weil er Vorsitzender des Aufsichtsrates ist. Er hat sich und seinen politischen Erfolg in den vergangenen Jahren mit nichts so eng verknüpft wie mit dem Projekt Großflughafen. Niemand fordert zwar seinen Rücktritt als Regierender Bürgermeister, und der Koalitionspartner CDU steht hinter dem Regierungschef, aber noch nie steckte Wowereit in seiner politischen Karriere in einer solchen Krise. Die CDU liegt in Umfragen zum ersten Mal seit 2009 vor der SPD. In der Beliebtheitsskala büßte er als Person zuletzt 18 Punkte ein – und, was schlimmer ist: zum ersten Mal ist er es, der seine SPD in Umfragen nach unten zieht, nicht umgekehrt.

Für jemanden, der so gerne die Kontrolle hat wie Wowereit und der die Partei als eine Truppe sieht, die von ihm abhängt und nicht umgekehrt, sind das schmerzliche Veränderungen. Beim letzten Parteitag wählten die Genossen seinen engsten Vertrauten, den bisherigen Parteichef Michael Müller, ungerührt ab und den bisherigen Sprecher der Parteilinken, Jan Stöß, zum Nachfolger – als ganz bewusstes Kontra zur Regierungspolitik. Es wird also einsamer um Klaus Wowereit.

Zwar schmettert er bisher alle Anwürfe mit bewährter Schnoddrigkeit ab und sagt: „Ich glaube nicht, dass der Aufsichtsratschef dafür verantwortlich ist, welcher Termin technisch umsetzbar ist.“ Aber in seinem Inneren dürfte es anders aussehen – Wegbegleiter berichten darüber, wie geschockt und nachhaltig betroffen Wowereit über die überraschende Verschiebung der Eröffnung war. Wowereit hasst das Klischee der Hauptstadt mit der großen Klappe, in der wenig klappt. Und der ersehnte Erfolg mit dem Flughafen kann nun unter keinen Umständen mehr einer werden.

Viele Beobachter glauben, dass der als kämpferisch bekannte Regierende Bürgermeister so lange am Amt festhalten wird, bis der Flughafen eröffnet ist. Gleichzeitig wächst aber in der Koalition das Geraune über die Möglichkeit, Wowereit könne kurzfristig die Brocken hinschmeißen.