Der Ministerpräsident betrachtet das Fluggerät als Hilfe gegen Staus. Volocopter-Geschäftsführer Florian Reuter will die weltweit erste Zulassung für kommerzielle Flüge haben und Daimler-Chef Ola Källenius blickt in die Zukunft.
Stuttgart - Winfried Kretschmann hat keine Angst vor dem neuen Fluggerät: „Ich kann mir absolut vorstellen, den Volocopter zu nutzen“, sagte der baden-württembergische Ministerpräsident in Stuttgart anlässlich des ersten Flugs eines rein elektrischen Volocopters in einer europäischen Innenstadt auf dem Cannstatter Wasen. „Ich stehe ständig unter Zeitstress, für mich ist der Volocopter ein optimales Gerät.“
Dass Menschen solch „tolle Ideen“ hätten, „das fasziniert mich“, meinte Kretschmann bei einer Podiumsdiskussion im Mercedes-Museum über die Mobilität von morgen. Daimler-Vorstandschef Ola Källenius sagte auf dem Podium, als er vor zwei Jahren das Team von Volocopter kennengelernt habe, sei er sofort begeistert gewesen von dessen Technologievision.
In zwölf Minuten vom Bahnhof zum Flughafen
Volocopter-Geschäftsführer Florian Reuter kündigte in Stuttgart an, sein Unternehmen wolle weltweit das erste sein, das eine Zulassung für den kommerziellen Betrieb des Fluggeräts erhalte. Zur Zeit liefen Zertifizierungsgespräche mit den zuständigen Stellen. Das Fluggerät, das senkrecht starten und landen kann und außerdem sehr leise ist, ist nach Ansicht von Reuter besonders für die Beförderung von Personen in großen Städten geeignet, etwa als Flugtaxi. „Für die zwölf Kilometer lange Strecke vom Stuttgarter Flughafen in die Innenstadt sollten dann auch nicht mehr als zwölf Minuten nötig sein“, sagte Reuter.
Der Volocopter sei keineswegs nur als Beförderungsmittel „für die fünf Prozent der wohlhabenden Menschen in Stuttgart gedacht“. In einer App sollen nach Reuters Auffassung künftig Volocopter und andere Verkehrsmittel miteinander kombiniert werden, um Menschen die optimale Route und das beste Verkehrsmittel vorzuschlagen.
Während der Volocopter zunächst noch einen Piloten an Bord hat, soll er später auch autonom fliegen können. Der Volocopter sei schon wegen des Elektroantriebes ein nachhaltiges Verkehrsmittel, erklärte Reuter. Elektrische Batterien für Fluggeräte und Autos müssten aber sowohl bei der Leistungsfähigkeit als auch bei der Nachhaltigkeit in der Produktion noch besser werden.
Kretschmann: Bei uns entstehen die Arbeitsplätze der Zukunft
Ministerpräsident Kretschmann sagte, die Autoindustrie habe die Zeichen der Zeit und die Herausforderungen etwa durch den Klimawandel inzwischen erkannt. „Es macht keinen Sinn, weiter auf die Autoindustrie einzudreschen, weil sie Fehler gemacht hat“, sagte der Ministerpräsident. Gerade Baden-Württemberg als Hochtechnologieland müsse zeigen, dass Klimaschutz und Wohlstand durchaus vereinbar seien.
Die Entwicklung der Autoindustrie sei auch eine Entscheidung über Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Die Fahrzeughersteller stünden vor der größten Herausforderung seit der Erfindung des Autos durch Gottlieb Daimler und Carl Benz. „Bei uns entstehen die Mobilität der Zukunft und die Arbeitsplätze der Zukunft“, sagte Kretschmann angesichts des Trends zu Elektrofahrzeugen.
Neues Kapitel in der Mobilitätsgeschichte
Daimler-Chef Ola Källenius erklärte, Baden-Württemberg sei „genau das richtige Umfeld, um das Auto zum zweiten Mal zu erfinden“. „Wer die Fähigkeit hat, Innovationen für mehr Nachhaltigkeit voranzutreiben, hat auch die Pflicht, das zu tun“, sagte Källenius.
Der Daimler-Chef bekräftigte, von 2022 an in allen europäischen Mercedes-Benz-Werken CO2-neutral produzieren zu wollen. In Deutschland wolle das Unternehmen alle Standorte, darunter auch solche, an denen nicht produziert werde, mit Strom versorgen, der zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien komme.
Im Jahr 2030 sollten laut Källenius zudem mehr als die Hälfte der neuen Autos, die dann verkauft würden, einen Elektroantrieb haben. Um voranzukommen, sei aber auch eine Unterstützung durch die Politik nötig. Dies gelte sowohl für einen flächendeckenden Ausbau der Ladeinfrastruktur wie auch für den Umweltbonus für Käufer von Fahrzeugen. Nach der Erfindung des Autos werde mit dem Start des Volocopters „ein neues Kapitel der Mobilitätsgeschichte aufgeschlagen“ – und dies wieder in Baden-Württemberg.
Betriebsrat: Richtiger Weg für Daimler
Michael Brecht, der Vorsitzende des Daimler-Gesamtbetriebsrats, sagte unserer Zeitung, der Volocopter leiste sicher einen Beitrag zur Mobilität von morgen. Deswegen sei es für Daimler auch richtig, diesen Weg mitzugehen. Daimler ist an dem Bruchsaler Unternehmen beteiligt. „Wenn wir auch zukünftig weiter ein Anbieter von Mobilität sein wollen, müssen wir dieses Thema begleiten“, meinte Brecht.
Der für die Digitalisierung zuständige baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl erklärte, auch mit Blick auf autonom fahrende Autos brauche der Südwesten ein schnelles Internet „bis in das letzte Schwarzwalddorf“. In der laufenden Legislaturperiode stelle sein Ministerium dafür eine Milliarde Euro bereit.