Forscher der Stuttgarter Hochschule der Medien und Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg haben gemeinsam eine KI entwickelt, die Fälschungen amtlicher Dokumente und Ausweispapiere erkennt.

Johannes Maucher und Rolf Fauser stecken die Köpfe zusammen. Wieder einmal. Der eine Professor, der zu Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart forscht und lehrt. Der andere Erster Kriminalhauptkommissar des Landeskriminalamtes (LKA) Baden-Württemberg, einer der wenigen Experten weltweit, wenn es gilt, Fälscher zu jagen.

 

Fauser rückt die Brille zurecht und nimmt das Blatt Papier auf dem Tisch unter die Lupe. Angeblich eine Heiratsurkunde, angeblich ausgestellt irgendwo im Irak. „Schauen wir uns doch diesen Stempel genauer an“, sagt Maucher und deutet auf einen blauen Stempel mit arabischen Schriftzeichen. Eingezwängt zwischen zwei Unterschriften, die eine grün, die andere blau. Unter einem schwarzen Strich quer über das ganze Blatt zwei weitere Unterschriften, sieben weitere Stempel in Rot und Blau.

Mit einigen Klicks der Computermaus scannt der Wissenschaftler das Papier ein, das Sekunden später auf den Bildschirmen erscheint. Der Kriminalist isoliert den Stempel. „Jetzt soll sie zeigen, was sie kann“, sagt Fauser und grinst wie einer, der seinem Lehrer eine Reißzwecke auf den Stuhl gelegt hat.

Forschung an der künstlichen Intelligenz seit fünf Jahren

Wie von Geisterhand dreht sich der Stempel und richtet sich genau aus wie das von Ermittlern als unverfälschtes Original bewertete Vergleichsmodell. In Sekundenbruchteilen knüpfen sich hunderte Startpunkte grauer und gelber Linien an das Vergleichsmuster, suchen ein Gegenüber im zu prüfenden Stempel und verknüpfen Übereinstimmungen miteinander.

Das, sagt Maucher, „fasziniert mich so an der Forschung hier: Wir schauen uns an, wie neueste Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung für verschiedene Anwendungsgebiete nutzbar gemacht werden können“. Anders ausgedrückt: Maucher und sein Team am Institut für angewandte Künstliche Intelligenz (IAAI) machen das, was theoretisch funktionieren soll, so passend, dass in diesem Fall Ermittler des LKA damit auch arbeiten können.

Im März 2019 schickten der damalige LKA-Präsident Ralf Michelfelder und HdM-Rektor Professor Alexander Roos Forscher und Kriminale zusammen ins Reich virtueller Intelligenz.

„Für uns kommt es nicht nur darauf an, dass wir nachweisen können, ob Dokumente, also Ausweispapiere, echt oder gefälscht sind, sondern auch, ob sie amtlich ausgegeben wurden“, sagt Fauser: „Unsere Gutachten müssen vor jedem Gericht Bestand haben, damit Richter zweifelsfrei entscheiden können.“

Fälschungsexpertise des LKA international gefragt

Dazu, erklärt Maucher das Verfahren, „muss vereinfacht ausgedrückt der Rechner erst einmal lernen“. Dazu wird die KI mit Tausenden von Vergleichsdaten gefüttert: zweifelsfrei unverfälschten Unterschriften, Stempeln, Papiersorten, Stempelfarben, der Zusammensetzung von Plastikausweisen und -führerscheinen. Das Gleiche geschieht mit Daten von Fälschungen. „Die KI lernt dann die wesentlichen Differenzierungsmerkmale zwischen echt und gefälscht“, beschreibt der Professor das, was für das Auge unsichtbar gerade in den Rechnern passiert.

Läuft die KI, soll das die Ermittlungen schneller und in ihrem Urteil sicherer machen. Bisher hing alles ausschließlich von menschlichen Augen, Nasen und im wahrsten Sinne des Wortes vom Fingerspitzengefühl ab, ob Fälschungen als solche enttarnt wurden – oder auch nicht. „Klar, man entwickelt mit den Berufsjahren ein Gefühl dafür, ob das eine Fälschung ist oder nicht, was man gerade in der Hand hält“, sagt Fauser.

Fast 44 Berufsjahre hat er auf dem Buckel, 30 Jahre davon als Sachverständiger im Bereich der Ermittlungen zu Urkundenfälschung. Vor 24 Monaten hat er nach zehn Jahren im Vorstand die Leitung der European Document Expert Working Group (EDEWG) übernommen, die sich international mit der Thematik auseinandersetzt.

In Europa schlossen sich die kriminaltechnischen Institute von Polizeibehörden 1995 mit dem Ziel zusammen, sich auf dem Gebiet der Kriminaltechnik zu informieren, sich zusammen mit Wissenschaftlern auszutauschen. Die Gruppe ist von der Europäischen Kommission als eine von 17 Monopolorganisationen im Bereich der forensischen Wissenschaft anerkannt worden.

So wird der baden-württembergische Kriminalbeamte Fauser inzwischen hinzugezogen, wenn irgendwo auf der Welt Fälscherwerkstätten ausgehoben werden. Gerade erst sei er in Estland mit dortigen Polizisten unterwegs gewesen, sagt er.

230 Fälschungsserien erkannt, die ansonsten unentdeckt geblieben wären

„Dieses KI-System begeistert mich einfach“, schwärmt Fauser. Denn: Am Ende des Vergleichens spuckt es eine Prozentzahl aus. Die gibt darüber Aufschluss, wie sicher sich das Programm ist, dass das Prüfobjekt ein unverfälschtes Original ist oder ein Imitat. Hinzu komme, erklärt Maucher, „dass wir die KI so trainierten, dass sie uns auch verständlich erklärt, wie sie zu ihrem Urteil gekommen ist“.

Was mitunter zu erstaunlichen Ergebnissen führt. So kann die Künstliche Intelligenz anhand der Druckertinte und an der Struktur des Papiers erkennen, ob die vorgelegte Heirats- oder Geburtsurkunde wirklich – wie behauptet – in einem Standesamt im syrischen Aleppo ausgestellt wurde. „Wir haben das geprüfte Vergleichsmaterial und wissen daher, welcher Drucker zu einer bestimmten Zeit in einer Behörde verwendet wurde. Das ist wie mit einem Fingerabdruck: einmalig! Weicht das Prüfobjekt von diesen Vergleichsdaten ab, wurde also von einem anderen Drucker ausgegeben oder mit einer anderen Druckertinte gefertigt, dann erkennt die KI das“, sagt Fauser.

Ganze 230 Fälschungsserien wurden so im baden-württembergischen LKA durch die KI vergangenes Jahr erkannt, die sonst nie bekannt geworden wären. Hinzu kommen Zusammenhänge mit Fällen im gesamten Bundesgebiet, die sonst unentdeckt geblieben wären. Ohne die virtuelle Hilfe stießen deutsche Ermittler alleine 2023 auf 13 043 gefälschte Urkunden, wie die polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes ausweist. Eine seit 15 Jahren konstant hohe Zahl, die nach unten und oben nur gering um wenige Hundert abweicht. Wie auch die Anzahl der aufgeklärten Fälle: Bei etwa einem Drittel liegt die Quote – 4428 Fälle.

NRW übernimmt Teil der Forschungskosten

„Sowohl die Aufklärungsquote wie auch die Fallzahlen dürften nach oben schnellen, wenn die Polizei mit der KI arbeitet“, ist Fauser überzeugt. Denn: D ie Statistik erfasst nur die Fälle, zu denen auch ein Ermittlungsvorgang angelegt wurde. Das heißt, sie lässt die unzähligen – möglicherweise gefälschten – Dokumente offen, die zuvor Bundes- und Landespolizisten, Zöllner oder Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von Hand geprüft haben.

„Im Moment haben wir nur eine vage Vorstellung davon, wie die KI Genehmigungsverfahren von Flüchtlingen und Asylbewerbern beschleunigen wird“, sagt Fauser. Die Bundespolizei ist daran interessiert, was die Forschungskooperation des LKA mit der Hochschule der Medien wohl noch in diesem Jahr aus Stuttgart den deutschen Sicherheitsbehörden anbieten wird.

Auch das nordrhein-westfälische Innenministerium hat ein Auge auf die Künstliche Intelligenz geworfen: Es überwies kurz entschlossen 100 000 Euro als Beitrag zu den Forschungskosten, als sich in Baden-Württemberg niemand so richtig dafür zuständig fühlte.