Ingrid Pohl liebt die nächtliche Dunkelheit. Während der Renovierungsarbeiten in der Stadtkirche fotografierte sie nächtelang die Baustelle. Die märchenhaften Aufnahmen sind nun in einem Buch zu sehen.

Vaihingen - Die Vaihinger Stadtkirche ist vergleichsweise jung. 1860 im neugotischen Stil errichtet, kann sie mit berühmten Kathedralen wie Notre Dame oder dem Straßburger Münster eigentlich nicht mithalten. In den Aufnahmen von Ingrid Pohl aber wird der Bau zu einem geheimnisumwitterten alten Gotteshaus. Das Licht wirkt fahl, die in die Höhe strebenden Pfeiler scheinen von Schleiern umweht, aus dem Dunkel leuchtet ein Fenster oder es tritt ein Kreuz hervor. Es sind faszinierende und außergewöhnlich schöne Aufnahmen, die Ingrid Pohl in diesem Frühjahr zu einem Buch zusammengefasst und im Eigenverlag herausgebracht hat.

 

Ein Faible für Baustellen

Die Vaihinger Künstlerin hat ein Faible für Baustellen. Vor allem an den Abenden streift sie gerne durch die Stadt und fotografiert. Als die Sanierung an der Stadtkirche begann, erbat sie sich einen Schlüssel von der Projektleitung. Wenn die Handwerker die Baustelle verließen, kam sie mit ihrer Kamera und Taschenlampe oder Lichtspot. Vier, fünf Monate lang hat sie an dem Projekt gearbeitet, und es entstanden in einer Nacht an die 100 Aufnahmen, aus denen sie eine Auswahl treffen musste.

„So eine Renovierung berührt einen ja, es ist ein Veränderungsprozess“, sagt Pohl, im Hauptberuf Psychoanalytikerin. Sie hat die nächtlichen Stunden in der leeren Kirche als eine ganz besondere Zeit empfunden und vergleicht den Raum mit einer Klause, in der der Mensch ein Suchender ist.

Ingrid Pohl ist ein Nachtmensch

„Ich bin schon als Kind nachts gerne rausgelaufen und habe mir die Sterne oder den Wald angesehen“, erzählt die Künstlerin, die seit ihrer Jugend fotografiert. Vorzugsweise in der Natur und nachts: Ingrid Pohl ist auf dem Land aufgewachsen, auf einem Gutshof abseits einer Ortschaft. „Das Unheimlich-Heimliche der Dunkelheit fasziniert mich“, sagt sie.

Zur künstlerischen Beschäftigung fand sie in einer schwierigen Lebenssituation, als sie eine Trennung verkraften musste. Eines Abends stand sie auf dem Balkon und sah in der Ferne ein Licht. Da habe sie angefangen, Lichter zu fotografieren, mit Langzeitbelichtung und in Bewegung. „Das ist bis heute mein Stilmittel geblieben“, sagt Ingrid Pohl.

„Die Dunkelheit zerreißen“

Für einen Zufall hält sie diesen Moment aber nicht: Als Analytikerin muss sie auch Licht in das „Dunkel des Ungewissen“ bringen, wie sie es nennt. „Die Dunkelheit zerreißen“, sagt sie dazu – und wirklich wirken ihre Aufnahmen manchmal, als ob feine Risse durch den Kirchenraum gehen. Die Schleier aber, die auf allen Bildern zu erleben sind, entstehen durch die Folie, mit der die Kirche während der Renovierungsarbeiten ausgekleidet war. Und die Bewegung? „Ich arbeite nie mit Stativ“, erläutert die Fotografin, „ich bewege mich oder ich bewege die Kamera.“

„Zwischen den Zeiten“

Als Studentin ist Pohl aus der Kirche ausgetreten. Mittlerweile schätzt sie diese Institution als soziales Auffangnetz und wegen der Rituale, die in großen Lebenseinschnitten Menschen auffangen können. Kathedralen oder Kirchen wie die Stadtkirche erlebt sie als einen heiligen Ort, auch wenn die Religiosität in ihrer Arbeit nicht im Vordergrund steht. Ebenso wenig ist das Buch eine reine Dokumentation der Sanierungsarbeiten. „Es ist ja immer die gleiche Kirche, der gleiche Innenraum, aber ich habe je nach Stimmung andere Farben gesehen und festgehalten“, sagt sie.

„Zwischen den Zeiten“, sind die Fotografien überschrieben, und das könnte sich auch auf die Kirche als Institution beziehen. Das Auge Gottes im bunten Fenster, das von einer Folie bedeckt ist, wirkt wie blind; der Fotografin gelang es nicht, es scharf zu stellen. Die Strebepfeiler scheinen zu wanken. „Es ist die Frage, ob die Kirche wirklich gerettet werden kann durch eine Sanierung“, sagt Ingrid Pohl nachdenklich. Doch das Ergebnis der Renovierungsarbeiten gefällt ihr: „Die Stadtkirche ist wirklich schön geworden.“

Fotobuch Das Buch mit den Innenaufnahmen der Vaihinger Stadtkirche trägt den Titel „Es braucht Augen Blicke braucht es“. Ingrid Pohl hat es im Eigenverlag herausgebracht. Zu kaufen ist es über die Homepage www.ingrid-pohl.de.