Heimisches Schiefergas könnte die Abhängigkeit von Gasimporten verringern. Doch die Förderung ist wegen der großen Gefahren für die Umwelt umstritten. Auch deshalb ist Deutschland von Verhältnissen wie in den USA noch weit entfernt. Eine Analyse.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Die USA sind ein Schlaraffenland für Gasverbraucher. Die massive Ausbeutung unkonventioneller Gasvorkommen – also von Erdgas, das in den Poren undurchlässiger Gesteine eingeschlossen ist – hat die Preise auf historische Tiefstände gedrückt. Auf Großhandelsebene kostet Erdgas in den USA derzeit nur noch ein Viertel so viel wie im Sommer 2008, die Gaspreise an der Europäischen Energiebörse EEX in Leipzig sind aktuell mehr als dreimal so hoch wie in New York.

 

Der Gasrausch in den USA weckt auch in Europa Begehrlichkeiten, denn auf dem Alten Kontinent vermuten Geologen ebenfalls unkonventionelles Gas. Energiekonzerne wie Exxon-Mobil machen keinen Hehl daraus, dass sie diesen Schatz gerne heben würden. Niedrigere Energiepreise würden die Konsumenten entlasten, den Unternehmen Vorteile im internationalen Wettbewerb verschaffen und so die Wirtschaft insgesamt ankurbeln, argumentieren die Firmenvertreter.

Auch die Abhängigkeit von Importen aus Russland und Norwegen könnte verringert werden. Derzeit liegt der Anteil der heimischen Gasförderung bei 15 Prozent – mit rückläufiger Tendenz. Zudem könnte wegen der Energiewende der Gasbedarf Deutschlands in den kommenden Jahren sogar noch steigen. Weil die Stromproduktion von Wind- und Solarkraftwerken stark schwankt, halten die meisten Energieexperten es für nötig, zusätzliche, schnell regelbare Gaskraftwerke zu bauen.

Im Zentrum der Kritik stehen die chemischen Zusätze

Allein in Deutschland lagern nach Schätzung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) nutzbare unkonventionelle Gasvorkommen von 1,3 Billionen Kubikmetern. Bei einem jährlichen Verbrauch von 86,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas (2011) könnte sich Deutschland damit 14 Jahre lang selbst versorgen. Großteils handelt es sich dabei um sogenanntes Schiefergas, das in tonhaltigem Gestein gebunden ist.

Doch ob diese Energiequelle in größerem Stil angezapft werden wird, ist offen, denn die Fördermethoden für unkonventionelles Gas sind umstritten. Um es zu gewinnen, muss das undurchlässige Gestein mit einem Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien aufgebrochen werden. Kritiker der Methode befürchten deshalb eine Verunreinigung des Grund- und Trinkwassers.

Diese Sorge treibt auch Annamaria Waibel von der IG No Fracking Bodensee-Oberschwaben um. „In der Bodenseeregion ist diese Technik besonders riskant“, sagt die Pfullendorferin. Schließlich versorge der See rund fünf Millionen Menschen mit Trinkwasser. Auch die Bodensee-Wasserversorgung plädiert deshalb für ein Verbot von Fracking. Im Südosten Baden-Württembergs gibt es drei Gebiete, für die britische Unternehmen über eine sogenannte Aufsuchungserlaubnis verfügen beziehungsweise deren Verlängerung beantragt haben. Grob gesagt umfasst das Erkundungsgebiet jenen Teil Baden-Württembergs, der unterhalb einer gedachten Linie Singen–Ulm liegt.

Die Bodensee-Wasserversorgung ist gegen Fracking

Das zuständige Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) in Freiburg verweist darauf, dass eine Aufsuchungserlaubnis keine Genehmigung für konkrete Arbeiten wie Erkundungsbohrungen oder seismische Messungen sei. Das gelte auch für Fracking. „Die Durchführung von Fracs muss sowohl berg- als auch wasserrechtlich kritisch geprüft werden. Derzeit liegen den Behörden keine entsprechenden Anträge vor“, heißt es in einer Mitteilung. Weitere Konzessionen im Land wurden für den Oberrheingraben erteilt, allerdings für konventionelles Erdgas.

In Niedersachsen gibt es die meisten Bürgerinitiativen

Aus gesamtdeutscher Sicht spielt Baden-Württemberg bei den unkonventionellen Gasvorkommen eher eine Nebenrolle. Weiter nördlich sind die geologischen Bedingungen besser – vor allem in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, wo auch bisher schon Öl und Gas gefördert wird. Auch in Nordrhein-Westfalen haben sich die Konzerne zahlreiche potenzielle Fördergebiete gesichert, die ihnen im Erfolgsfall die exklusive Verwertung der Rohstoffe sichern.

Im Norden und Westen konzentriert sich denn auch der Widerstand gegen Fracking. Die meisten der 31 Bürgerinitiativen, die auf der Internetseite www.gegen-gasbohren.de aufgezählt werden, sind in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen angesiedelt. Sie fordern eine generelle Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung bei Fracking-Vorhaben und eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit. Zudem müssten die Risiken der Gasförderung genauer untersucht werden. Am liebsten wäre den Gegnern ein generelles Verbot der Erschließung unkonventioneller Gasvorkommen.

Bei konventionellen Vorkommen steigt die Ausbeute

Die Industrie verweist dagegen auf strenge Sicherheitsvorkehrungen. So würden die Bohrlöcher mit einzementierten Stahlrohren ummantelt, um ein Austreten von Bohrflüssigkeit in grundwasserführende Schichten zu verhindern. Zudem sei Fracking an sich nichts Neues. „Die Methode wird in Deutschland schon seit 30 Jahren eingesetzt“, sagt ein Sprecher von Wintershall, der Öl- und Gastochter von BASF. Bei rund 300 Fracs sei bisher keine Kontamination von Grund- oder Trinkwasser festgestellt worden.

Mit Fracking könne die Ausbeute aus konventionellen Vorkommen erhöht werden, rund ein Drittel der deutschen Förderung basiere auf dieser Technik. Der Wintershall-Sprecher räumt aber ein, dass für die Förderung unkonventioneller Vorkommen „mehr Bohrungen, mehr Wasser und mehr Chemie“ nötig seien.

Die Industrie verzichtet auf die Brechstange

Die Konzerne reagieren auf den Widerstand, der sich über das Internet immer professioneller organisiert, mit einer PR-Offensive. In aufwendigen Informationsbroschüren und Animationen erklären sie die technischen Details des Fracking und versichern, auch bei einer künftigen Förderung von Schiefergas aus Deutschland sämtliche Belange des Umwelt- und Wasserschutzes zu beachten und die Bürger vor Ort mit einzubinden. Ferner versprechen die Unternehmen, die Methode weiterzuentwickeln, um künftig „auf solche Stoffe verzichten zu können, die in Reinform als giftig klassifiziert sind“, wie es bei Exxon-Mobil heißt. Um die Akzeptanz der Methode zu verbessern, hat der Konzern einen „Informations- und Dialogprozess“ in die Wege geleitet, der im vergangenen April endete. Im Abschlussbericht werden auch etliche kritische Punkte angesprochen.

Als Reaktion darauf verkündete das Unternehmen im November, für mindestens ein halbes Jahr ganz auf Fracking zu verzichten und weitere Untersuchungsergebnisse abzuwarten – etwa zur Grundwassersituation. Die Industrie will ihre Interessen offenbar nicht mit der Brechstange durchsetzen. Auch der Wintershall-Sprecher betont, dass es zunächst darum gehe, das wirtschaftlich nutzbare Potenzial an Schiefergas zu erkunden: „Das Ganze befindet sich noch im Forschungsbereich.“

Für die Genehmigung sind die Länder zuständig

Auch in der Politik bleiben die Sorgen der Bürger nicht ungehört. So plädiert Bundesumweltminister Peter Altmaier dafür, Fracking nur unter strengen Umweltauflagen zuzulassen und in Trinkwasser- und Heilquellenschutzgebieten ganz zu verbieten. Er beruft sich dabei auf ein Gutachten des Umweltbundesamtes. Ein generelles Fracking-Verbot wie etwa in Frankreich hält der CDU-Politiker nicht für nötig. Für die Genehmigung konkreter Projekte sind ohnehin die Bundesländer zuständig, und die stehen angesichts des wachsenden Widerstands in der Bevölkerung eher auf der Bremse (siehe Kasten). Wie es aussieht, fällt der deutsche Schiefergasboom vorerst aus.

Die Fracking-Gegner glauben aber nicht, dass das so bleiben wird. „Angesichts steigender Energiepreise sind die Begehrlichkeiten der Industrie groß“, meint die Pfullendorfer Aktivistin Waibel.