Die Arbeiten von Künstlerinnen wie Luise Deicher (1891-1973) sind selten in Museen zu sehen. Die Autorin Gabriele Katz rückt die Waiblinger Malerin und Zeitgenossinnen aus der „Stuttgarter Damenklasse“ mit einem Buch ins Bewusstsein.

Waiblingen - Ohne ihr kleines Skizzenbuch ist sie nie aus dem Haus gegangen. Luise Deicher, vor fast genau 123 Jahren am 6. April 1891 in Waiblingen geboren, wusste schon früh, was sie werden wollte: Malerin. Vom negativen Bild des „Malweibs“, das Künstlerinnen zu dieser Zeit anhaftete, hat sich die Frau, die ihre dunklen Haare stets zu dicken Zöpfen geflochten und kunstvoll um den Kopf drapiert hat, nicht abschrecken lassen. Bereits mit 17 Jahren nahm sie ein Studium an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart auf und besuchte den Unterricht des Malers Adolf Hölzel (siehe „Adolf Hölzel und seine Damenklasse“).

 

110 Ölgemälde und 360 grafische Arbeiten

Und doch ist von Deichers Werk, das rund 110 Ölgemälde und 360 grafische Arbeiten umfasst, heute kaum ein Stück öffentlich ausgestellt. Die Kunsthistorikerin Gabriele Katz, die in ihrem Buch „Stuttgarter Damenklasse“ Luise Deicher und 15 weitere Malerinnen porträtiert, sagt: „Diese Künstlerinnen werden bis heute museal schlecht behandelt. Wenn ihre Arbeiten überhaupt in Museen vorhanden sind, dann liegen sie meist im Depot.“ Die Mehrzahl der Werke aber befänden sich in Privatbesitz, die öffentliche Wertschätzung für die künstlerische Arbeit dieser Frauen sei gering. Eine Ausnahme bilde da nur Ida Kerkovius, die sich wohl auch dank ihrer engagierten Galeristin in der männlich dominierten Kunstszene habe durchsetzen können.

Die Herren sparten nicht mit Hohn und Spott. So lästerte etwa der satirische Zeichner Bruno Paul Anfang des 20. Jahrhunderts, es gebe zwei Arten von Malerinnen: „Die einen wollen heiraten und die anderen haben auch kein Talent.“ Zu dieser Zeit kostete das Kunststudium Geld und auch ihre Modelle mussten die weiblichen Künstler selbst bezahlen. „Das war finanziell eigentlich nur für Frauen aus dem Bürgertum machbar“, sagt Gabriele Katz. Doch das Bürgertum hatte meist andere Vorstellungen davon, was für Frauen schicklich und angemessen war – nämlich Kirche, Küche, Kinder statt Kunst.

Umso erstaunlicher, dass Luise Deichers Vater für den Berufswunsch seiner Tochter aufgeschlossen war. „Als sie 1908 an die Akademie ging, hat das keine große Kontroverse ausgelöst“, sagt Gabriele Katz, die sich mit in Waiblingen lebenden Verwandten der Künstlerin unterhalten hat. Luise Deichers Vater war nach einem Ingenieurstudium Mitte des 19. Jahrhunderts nach Amerika ausgewandert, hatte sich dort am Bahn der Eisenbahn beteiligt und war als Baumwollfarmer zu Geld gekommen. Im Jahr 1883 kehrte er nach Waiblingen zurück, wo er als Privatier lebte und siebenfacher Vater wurde – Luise Deicher hatte ein Schwester und fünf Brüder.

Ein eigenes Atelier in Stuttgart

Von 1910 bis 1913 besuchte Luise Deicher den Malunterricht bei Adolf Hölzel, danach war sie Schülerin von dessen Nachfolger Heinrich Altherr und richtete sich nach ihrem Studium ein Atelier in Stuttgart ein, wo sie Schüler unterrichtete. Porträts und Landschaften waren Luise Deichers bevorzugte Motive und „die figürliche Arbeit“ war für sie „das Schönste“. Eine Tuschezeichnung, die Luise Deicher von sic selbst angefertigt hat, zeigt sie als eine selbstbewusst drein blickende Frau mit Tuscheglas in der Hand. Ihr Gemälde „Die armen Buben“ erinnert an Picasso.

Deicher blieb ledig und kinderlos, Gabriele Katz beschreibt sie als eine bodenständige Frau, die leidenschaftlich gerne gärtnerte und gutes Essen liebte. Mit ihrem Freund und Mäzen Hermann Dreifus, einem jüdischen Geschäftsmann, reiste sie durch ganz Europa.

Luise Deichers Kunst sei von den Nazis nie angegriffen worden, sagt Gabriele Katz, dennoch war die Künstlerin schwer und persönlich vom Nazi-Regime betroffen: Ihr Bruder Eugen, dessen Frau jüdischen Glaubens war, nahm sich 1940 das Leben, die Schwägerin wurde verhaftet und nach Theresienstadt gebracht. Luise Deichers Freund Hermann Dreifus beging ein Jahr später Selbstmord, um seiner Deportation zu entgehen. Luise Deicher habe sich während dieser Zeit gewissermaßen selbst zensiert und auf Blumenstillleben und Familienporträts beschränkt, sagt Gabriele Katz – „so, als wollte sie gar nicht mehr ausgestellt werden“.

Nach dem Ende des zweiten Welt krieg zog Luise Deicher mit ihrem Bruder Karl in ein Dorf im Großbottwartal, wo sie unprätentiös lebte und das malte, was ihr als Künstlerin seither die größte Freude bereitet hatte: Porträts.

Adolf Hölzel und seine Damenklasse

Lehrmeister
Heute gilt der 1853 geborene Maler Adolf Hölzel als Wegbereiter der Moderne und der abstrakten Malerei. Zu seiner Zeit wurde er an der eher konservativen Stuttgarter Kunstakademie wegen seines modernen Malstils als „Wolf im Schafspelz“ argwöhnisch beäugt. Hölzel kam 1906 nach Stuttgart, vier Jahre später übernahm er die Damenklasse und bildete private Malschülerinnen aus.

Lesung
Am Montag, 31. März, ist die Autorin Gabriele Katz im Großen Saal des Fellbacher Rathauses am Marktplatz 1 zu Gast. Dort stellt sie von 19 Uhr an ihr Buch über die „Stuttgarter Damenklasse“ vor. Sie legt einen Schwerpunkt auf die Waiblinger Malerin Luise Deicher und deren Freundin Maria Hiller-Foell, welche 1927 die Fenster der Fellbacher Dionysius-Kirche gestaltet hat. Der Eintritt ist frei.