Zu Beginn des Prozesses um den Mord an einer Medizinstudentin spricht der angeklagte Afghane ausführlich über seine Kindheit und seine Flucht. Aber es bleiben Widersprüche: Fällt Hussein K. vielleicht gar nicht mehr unter das Jugendstrafrecht?

Freiburg - Die Augen halb geschlossen, den Kopf gesenkt betritt Hussein K. den großen Saal des Landgerichts Freiburg. Seine Bewegungen sind langsam. Der Afghane hat eine Beruhigungstablette genommen an diesem Morgen, eine Tavor, wie sein Anwalt Sebastian Glathe der Jugendkammer mitteilt, und kurz wird diskutiert, ob der Angeklagte überhaupt fähig ist zu einer Verhandlung, die in ganz Deutschland aufmerksam verfolgt wird. Er ist es, wird entschieden. Angesetzt sind 16 Prozesstage, 45 Zeugen sollen gehört werden. Das Urteil könnte Anfang Dezember fallen.

 

Verantworten muss sich Hussein K. wegen Mordes und Vergewaltigung. Er soll, so Oberstaatsanwalt Eckart Berger, die Medizinstudentin Maria L. in der Nacht auf den 16. Oktober 2016 am Uferweg der Dreisam von ihrem Fahrrad gezerrt haben. Mit Bissen in die Wange, Brust und Bauch habe er die 19-Jährige traktiert, sie vergewaltigt und ins Flussbett gezogen, so die Anklage. „Er wollte sich an ihr vergehen und sie töten.“ Die Studentin habe keine Chance gehabt, sich zu wehren oder um Hilfe zu rufen. Spätestens im Laufe der Misshandlungen habe sie ihr Bewusstsein verloren. Sie starb durch Ertrinken, weil er sie mit Nase und Mund unter Wasser liegen ließ.

Deutschlandweites Interesse an der Verhandlung

Unter aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen beginnt der Prozess, der viele anzieht. Die Schlange vor Gericht führt an mehreren Häusern entlang. Polizisten mit Helm, teils mit Maschinengewehr, bewachen die Straßenszenen. Vor ihren Augen zoffen sich lautstark die Antifa und Anhänger der AfD, einige Dutzend gegen eine Handvoll. „Flüchtlinge bleiben, Rassisten vertreiben“, rufen die Linken. Ihnen gegenüber drücken sich die AfD-Leute mit dem Rücken zur Häuserwand.Im Gerichtssaal erzählt Hussein K., den Rücken gebeugt, eine Fußfessel zwischen den Knöcheln. Dass er in einem Dorf bei Ghazni geboren sei und drei Geschwister habe. Seine Mutter sei ihm das Wertvollste im Leben. Der Vater, früher ein Bauer, dann Soldat für das afghanische Militär, sei 2010 als Märtyrer im Kampf gestorben. Danach habe es an allem gefehlt: an Geld, an Perspektiven. Hussein K. gab an, mit Müllsammeln etwas zuverdient zu haben – bis er sich auf den Weg zu seinem älteren Bruder nach Teheran machte. Er habe in einer Metallgießerei gearbeitet, dort ständig Schmerzmittel genommen und sei von der Familie losgeschickt worden: in eine bessere Zukunft nach Europa.

Der Angeklagte gab sich als Minderjähriger aus

Hussein K. kam auf Umwegen im November 2015 nach Freiburg; vom Iran über die Türkei nach Griechenland, zu Fuß, mit Booten und Schleppern. Bei der Einreise nach Deutschland 2015 verschwieg er den Behörden, dass er bereits in Griechenland im Gefängnis saß, weil er auf Korfu eine junge Frau über eine Brüstung gestoßen hatte und wegen versuchten Totschlags zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. Eine Amnestie ermöglichte eine vorzeitige Entlassung nach eineinhalb Jahren. Auch über sein Alter sagte der Afghane nicht die Wahrheit. Er sei 16, erzählte er anfangs den Behörden. So profitierte er als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling von der Hilfe durchs Jugendamt. „Ich war 18, aber habe mich als Minderjähriger ausgegeben“, sagt Hussein K.. Er habe bewusst gelogen.

Die Rechnung ging auf. Hussein K. kam in eine Familie im Osten Freiburgs, Haus am Waldrand, der Gastvater Kinderarzt. Er besuchte eine private Berufsfachschule, erhielt 400 Euro Taschengeld im Monat von seinen Pflegeeltern. Obwohl er sich wohlfühlte, habe er Drogen konsumiert. Trotz seiner Aussage gibt es nach wie vor keine gesicherten Auskünfte zum Alter des Angeklagten; er selbst behauptet, er sei jetzt 19 Jahre alt. Einem Gutachten zufolge könnte Hussein K. zur Tatzeit schon 22 Jahre alt gewesen sein. Dann könnte das Urteil lebenslang heißen. Auf Antrag des Verteidigers wird die Öffentlichkeit zeitweise vom Prozess ausgeschlossen. Wenn es um Hussein K.s Aussagen zu sexuellen Misshandlungen durch Taliban in einer afghanischen Koranschule geht, soll die Privatsphäre geschützt werden, so die Vorsitzende Richterin Kathrin Schenk.

Breite Debatte über gewalttätige Flüchtlinge

Der Mord an der jungen Medizinstudentin hatte es bis in die Talkshows der Republik geschafft. Er bot die ideale Vorlage für Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, für alle Flüchtlingshelfer war es die maximal schlechteste Wendung einer Integrationsbiografie, ein Scheitern trotz aller Unterstützung. Die sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht waren noch präsent in den Köpfen der Bürger, die Angst, es könnten weitere Gewalttaten folgen, war ansteckend. Mit den Flüchtlingen komme die Kriminalität ins Land, skandierten diejenigen, die am liebsten sofort alle Grenzen geschlossen hätten. Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltete sich in die Debatte ein, warnte vor pauschalen Verurteilungen. „Mit dem Mordfall dürfe „nicht die Ablehnung einer ganzen Gruppe verbunden sein“, mahnte sie damals. Und Freiburgs grüner Oberbürgermeister Dieter Salomon sagte einen Satz, der ihm viele Kritik einbrachte: „Die Tat ist nicht schlimmer, weil sie ein Flüchtling begangen hat.“

Gedenkort an der Dreisam

Ein langes Haar hatte den Verdächtigen überführt: schwarz, an den Spitzen blondiert. Die Ermittler hatten Säcke voll Brombeergestrüpp am Tatort gesichert und gründlich ausgewertet. Da fiel ihnen das markante Haar auf. Einer findigen Polizistin gelang es, die Verbindung zu Hussein K. zu schaffen. Sie sichtete nächtliche Videoaufzeichnungen aus den Freiburger Straßenbahnen und entdeckte einen jungen Mann mit einer auffälligen Frisur.

Am Baum neben dem Tatort hängt ein Engel. Mit polizeilichem Absperrband hat jemand ein Herz um den Stamm gebunden. Jedem Jogger, jedem Radler auf dem breiten Weg hinter dem Stadion des FC Freiburg fällt der Ort des Gedenkens ins Auge.