Ein Rollenkonflikt bremst den neuen CDU-Chef. Das zeigt der Zwist um die Frauenquote, kommentiert Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

In der Generaldebatte über die Staatsfinanzen gibt Friedrich Merz den Antikanzler. Das ist die Rolle, für die er nach der CDU-Pleite bei der Bundestagswahl zum Parteichef gewählt worden ist – aber keineswegs die, weshalb er dieses Amt schon länger angestrebt hatte. Natürlich hätte er viel lieber Dauerkanzlerin Angela Merkel in der Regierungszentrale abgelöst, auch wenn sie ihn ganz gewiss nicht für einen geeigneten Erben hält. Solche Rollenkonflikte hemmen Merz auch in seinem Job als CDU-Vorsitzender. Merz leidet an einer Art von politischer Schizophrenie. Er darf gar nicht so sehr Merz sein, wie er es ist und gerne wäre.

 

Die „Welt“, das Zentralorgan der Merzianer, verspottet ihn schon als „Friedrich Merkel“ und schreibt: „Der Parteivorsitzende Merz ähnelt nur äußerlich dem gleichnamigen Fraktionsvorsitzenden.“ Als Herausforderer der Regierung lässt er keine Gelegenheit aus, deren Schwächen bloßzulegen, den Kanzler Olaf Scholz oder Robert Habeck, den Kanzler der Herzen, zu blamieren. So angriffslustig und provokant war die Union im Bundestag länger nicht zu erleben.

Über eine Frauenquote zu streiten, ist von gestern

Als Parteichef enttäuscht Merz hingegen gerade die treuesten seiner Fans. Das Universum der Christdemokratie reicht aber weit über Merzens Denkrevier hinaus – viel weiter als die 95 Prozent an Zustimmung vermuten ließen, die er bei seiner Wahl verbuchen konnte. Die CDU leidet nicht nur daran, dass sie ihren Markenkern bis zur Unkenntlichkeit verblassen ließ – wofür Merz unter frustrierten Wirtschaftsliberalen und verprellten Konservativen wie ein idealer Sanierer erschien. Sie hat zudem eine Modernisierung verschlafen, die dringend nachgeholt werden sollte, wenn sie nicht so enden möchte wie viele christdemokratische Parteien quer durch die politische Landschaft Europas: in der Mottenkiste der Geschichte.

Von diesem Manko kündet beispielhaft das Gezerfe um eine Frauenquote. Als politisches Betätigungsfeld ist die CDU für weibliche Mitglieder so wenig attraktiv wie zu den fernen Zeiten, da Helmut Kohl noch das Sagen hatte – auch wenn sie überproportional häufig von Frauen gewählt wird. Über eine Frauenquote zu streiten, ist aber sowas von gestern: Die CDU kann dabei nur verlieren, wenig gewinnen. Das gilt insbesondere für Merz. Um nicht exakt dem Klischee zu entsprechen, das seine Kritiker von ihm verbreiten, muss er seine Stammklientel enttäuschen und sich ausgerechnet in dieser Frage modernistischer geben, als es seinen Überzeugungen entspricht – die ein bisschen durchscheinen, wenn er betont, was nun beschlossen werden soll, sei „im Grunde genommen gar keine richtige Quote“.

Inflationsängste und Existenzsorgen bieten kein Biotop für kaltherzigen Wirtschaftsliberalismus

Auch in anderen Belangen wäre es geschäftsschädigend, würde Merz jetzt versuchen, die gewesene Merkel-Partei in eine Merz-Partei umzumodeln. Aus Wahlergebnissen lässt sich keine große Sehnsucht nach einer konservativen Kraft alten Stils herauslesen. Das urbane Bürgertum sucht bei den Grünen eine neue Heimat. Deshalb sind Großstädte für die CDU eine Diaspora, was noch schlimmer wäre, wenn Merz den Merz in Reinkultur geben würde. Der Zeitgeist ist sozialdemokratischer denn je – auch wenn die so etikettierte Partei davon aktuell wenig profitiert. Inflationsängste und Existenzsorgen bieten jedenfalls kein Biotop für kaltherzigen Wirtschaftsliberalismus, den Merz einst verkörpert hat.

Vom kommenden Parteitag, der am Freitag in Hannover beginnt, sind insofern kaum klassisch merzianische Akzente zu erwarten. Merz muss schon froh sein, wenn es ihm gelingt, überhaupt Akzente zu setzen, welche die CDU als Alternative zur ökosozialliberalen Regierungspolitik erscheinen lassen.