Olaf Scholz galt mal als harter Hunde gegen die Kriminalität. Dieses Bild verglüht gerade in den brennenden Barrikaden. Er wird froh sein können, wenn er mit ein paar Imagekratzern davon kommt.

Hamburg - Die Stadtreinigung leistet ganze Arbeit an diesem Samstagmorgen. Nichts soll mehr erinnern an die Randale jener Nacht, die eben zu Ende gegangen ist. Der Schutt mag bald weg sein, die Bilder aber bleiben. Sie werden kratzen am Bild des Machers an der Spitze dieser Stadt, Olaf Scholz (SPD), dessen Reinigungstrupps mit einigem Erfolg alles unternehmen, die Stadt besenrein in den Tag zu entlassen. Scholz wird froh sein können, wenn er nur mit ein paar Imagekratzern davon kommt, denn die Hamburger erlebten in einigen Stadtvierteln bei diesen Gewaltorgien am Rande des G20-Gipfels über Stunden den totalen Kontrollverlust der Staatsgewalt. Autos aller Preisklassen brannten aus. Von wegen, Kampf den Bonzen, da wurden Familienkarossen abgefackelt, Kleinwagen, vor der Zerstörungswut dieser Chaoten waren alle gleich, Läden wurden nicht nur ausgeräumt, sie wurden verwüstet. Von wegen: Weltfrieden.

 

Harter Hund gegen die Kriminalität

Scholz war vor seiner Zeit als Bürgermeister mal Innensenator, er gilt eigentlich als harter Hund im Kampf gegen Kriminalität, die Hamburger haben das sehr geschätzt. Aber dieses Bild ist in brennenden Barrikaden verglüht. Schon knöpft sich die Hamburger CDU den SPD-Bürgermeister vor. Oppositionschef Andrè Trepoll wirft Scholz vor, bei der Einschätzung der Sicherheitslage komplett versagt zu haben. Vor dem Gipfel hatte Scholz den Mund noch ziemlich voll genommen. Vor einigen Wochen wischte er Bedenken mit der Bemerkung beiseite, Hamburg richte „ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus“. Es werde Leute geben, die sich „am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist“. Wer Scholz kennt, der kann sich zwar sehr gut vorstellen, dass da Ironie im Spiel war, wer häufiger mit ihm zu tun hat, der sieht in diesem Moment sein verschmitztes Lächeln vor Augen, aber Ironie ist in der Politik eine gefährliche Sache, weil sie nicht mitgeliefert wird, wenn in den Archiven nach belastenden alten Zitaten gesucht wird.

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Auch Innensenator Andy Grote ist mit breiter Brust in diese Katastrophe gelaufen. Der Gipfel, so Grote, werde „ein Schaufenster moderner Polizeiarbeit sein.“ Ein Schaufenster, das wie viele andere jetzt in tausend Scherben zersprungen ist. Aber auch die CDU muss aufpassen. Es war Angela Merkel, die um diesen G20-Gipfel im Wahljahr buhlte und sie war es auch, die Scholz gefragt hatte, ob Hamburg dafür bereit sei. Da sitzen viele im selben Glashaus und keiner sollte es deshalb den Autonomen gleichtun und mit Steinen werfen.

Einsicht zeigte Scholz nicht. Zwar sagte er noch am Freitagabend: „Ich bin sehr besorgt über die Zerstörungen, die stattgefunden haben.“ Er sei auch „bedrückt über das, was viele zu ertragen haben, die die Gewalt unmittelbar erlebt haben, in dem zum Beispiel ihre Fahrzeuge oder ihr Eigentum zerstört worden ist oder sie eben gesehen haben, mit welcher Brutalität auch gegen Polizistinnen und Polizisten vorgegangen wird“. Dennoch verteidigte Scholz die Wahl des Gipfelortes, direkt angrenzend an eines der unruhigsten linken Szeneviertel der Republik. Es sei gut, dass die Gespräche in einem demokratischen Land und einer weltoffenen Stadt wie Hamburg stattfänden, sagte er. Mal sehen, ob die Hamburger ihm da noch folgen wollen.

Die Schanze, Schauplatz wilder Straßenkämpfe

Vor allem das Schanzenviertel, die „Schanze“, wie man in Hamburg sagt, wurde in der Nacht zum Schauplatz wilder Straßenkämpfen. Rauch lag in der Luft, an manchen Stellen auch Tränengas, und stets war es deshalb gut zu wissen, wie der Wind steht, der die schleimhautreizenden Schwaden verteilte. Dies war in diesen Stunden nicht mehr Hamburg. Diese Stadt war an manchen Stellen ein Schlachtfeld, wobei der Soundtrack nicht fehlen durfte. In den Fenstern standen mächtige Boxen, aus denen bassige Beats wummerten. Eine absurd anmutende Szenerie, eingerahmt von den Gästen der Straßencafés, die mit bester Aussicht die Show bei einer Pulle Bier genossen, manche gelassen drei blickend, andere bestens gelaunt und voll froher Erwartung auf eine feuerhelle Nacht. Getreu dem Motto: Bürgerkrieg und Spaß dabei.

Schulterblatt heißt die Straße, die direkt zur Roten Flora führt, dem seit 1989 besetzten Theater, dem Zentrum der linksautonomen Szene Hamburgs. In der Nacht loderten hier die Feuer besonders hoch. Vermummte empfingen die Einsatzkräfte der Polizei mit Pflastersteinen. Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke waren die Antwort. Gegen Mitternacht wurde der Bereich abgeriegelt, Spezialkräfte mit Sturmgewehren rückten vor, sicherten ein Baugerüst, das den Randalierern als Wurframpe diente. Hubschrauber leuchteten die Szenerie mit Suchscheinwerfern aus. „Mission Impossible“ für die Einsatzkräfte in der Hansestadt.

Die Ruhe nach dem Sturm

Am Morgen taucht die aufgehende Sonne die Stadt in ein mildes Licht. In der Snack-Bar Transmontana sitzen schon die ersten Gäste vor ihrem Kaffee. Alles ist ruhig, nicht ein Hubschrauber weit und breit, nur das schrabbende Geräusch der Kehrmaschine durchbricht die Stille, die vor der Roten Flora ihre Bahnen zieht. In einer Barrikade glimmt noch verkohltes Holz, daneben, ein Feuerlöscher. Man ahnt in der Asche Gegenstände, die einst Möbel oder Fahrräder waren und nun als graue Gerippe auf den Schaufelbagger warten, der sie gleich in den Müll kippen wird. Die Munition der Randalierer ist vor einer Unterführung auch schon sauber zusammengekehrt: Pflastersteine, handlich, schwer, im schlimmsten Fall tödlich, wenn sie mit voller Wucht treffen. Kabel ragen aus dem Boden, mutwillig herausgerissen mit der Urgewalt des Hasses. Den Designerladen „Flying Tiger Copenhagen“ hat es besonders hart erwischt. Die Scheiben sind eingeschlagen, der Lade ist leer geräumt. Malblöcke und Fähnchen liegen im Straßenstaub. Eine Spielhalle, ein Drogerie- und ein Supermarkt sind ähnlich übel zugerichtet worden. Ein paar Meter weiter in der Stresemannstraße haben sie im Kampf für eine bessere Welt das Display eines Fahrkartenautomaten zerstört. „Armut ist kein Zufall“, steht auf einem schwarzen Aufkleber daneben. Dummheit auch nicht.

Am Nachmittag starten die beiden größten Demonstrationszüge, mit denen der Protest gegen G20 Gestalt annehmen soll. Es soll friedlich zugehen, die Veranstalter und Unterstützer bürgen mit ihrem Namen dafür. Ex-Bürgermeister Ole von Beust wird als Unterstützer bei der Demo „Hamburg zeigt Haltung“ ebenso aufgeführt, wie Hamburgs Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD). Der andere Demozug, „Grenzenlose Solidarität statt G20“, wurde vom linken Bundestagsabgeordneten Jan van Aken angemeldet. Die Stimmung ist zunächst gelöst, viel Farbe ist im Spiel, nicht viel zu sehen vom grimmigen Schwarz des Schwarzen Blocks, des militanten Arm der Linksextremisten. Hunderte Sicherheitskräfte sind auf der Straße, aber die Einsatzkräfte haben die Helme abgenommen, für die Demonstranten stets ein gutes Zeichen, eine Art Friedensangebot.