Steigen die Temperaturen auf dem Globus, drohen massive Ernteausfälle durch Insekten. Nötig sind widerstandsfähigere Sorten und neue Anbaumethoden.

Stuttgart - Die Dürre in weiten Teilen Mitteleuropas hat vielen Bauern in diesem Jahr hohe Ernteausfälle beschert. Doch das könnte nur ein Vorgeschmack auf die Probleme sein, die der Klimawandel für die Ernährung der Weltbevölkerung mit sich bringt. Derzeit liefern lediglich drei Getreidearten – Weizen, Mais und Reis – 42 Prozent der Nahrungskalorien für die 7,5 Milliarden Menschen auf dem Globus. Ernten die Bauern der Welt erheblich weniger Getreide, könnten Hungersnöte drohen.

 

Genau solche Einbußen befürchten Curtis Deutsch von der University of Washington im US-amerikanischen Seattle und seine Kollegen im Fachblatt „Science“: „Bereits heute verringern weltweit gefräßige Insekten, Krankheiten und Unkräuter die Ernten um ein Drittel“, fasst Markus Riegler von der Western Sydney University in Australien die Situation zusammen. Sollte der Klimawandel die durchschnittlichen Temperaturen um zwei Grad Celsius in die Höhe treiben, könnten allein schädliche Insekten diese Verluste bei Reis um weitere 19, bei Mais um 31 und bei Weizen sogar um 46 Prozent erhöhen. Das haben Curtis Deutsch und seine Kollegen mit Computermodellen errechnet.

Insgesamt würden dann 213 Millionen Tonnen dieser drei Getreidearten in den Verdauungsorganen der Insekten enden. Damit würden diese Tiere einen erklecklichen Teil der Welternte vertilgen, die im Rekordjahr 2014 nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) bei rund 2,5 Milliarden Tonnen lag. Allein über den Insektenfraß rüttelt der Klimawandel also an der wichtigsten Säule der Welternährung. Da Wetterextreme wie das Dürrejahr 2018 in Mitteleuropa ebenfalls zunehmen und die Ernten weiter verringern dürften, gefährdet der Klimawandel mittlerweile die Ernährungsgrundlagen auf dem Globus.

Hohe Temperaturen steigern den Appetit

Der Grund, aus dem die Ernteschäden durch Insekten mit den Temperaturen steigen, ist Zoologen bereits seit Jahrhunderten bekannt: Während Säugetiere und Vögel ihre Körpertemperatur normalerweise unabhängig von der Umgebung ungefähr auf gleicher Höhe halten, schwankt sie bei vielen anderen Tiergruppen wie den Insekten mit der Außentemperatur. Wird es wärmer, steigt also auch die Körpertemperatur. Gleichzeitig wächst nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern auch der Energiebedarf. Daher wärmen sich zum Beispiel Eidechsen oder Schlangen an einem kühlen Vormittag im Herbst erst einmal in der Sonne auf, bevor sie ihr Tagwerk beginnen.

Weil der wärmere Körper auch mehr Energie verbraucht, müssen Insekten und andere wechselwarme Tiere bei höheren Temperaturen mehr fressen. Ihre höheren Leistungsreserven investieren viele Tiere dann in mehr Nachkommen, die ihrerseits einen gesunden Appetit entwickeln und so die Ernteschäden weiter vergrößern. Unter Berücksichtigung dieser Zusammenhänge fütterten Curtis Deutsch und seine Kollegen ihre Computermodelle mit den Daten von 38 Insektenarten aus aller Welt. Obwohl keineswegs alle dieser Arten Ernteschädlinge sind, zeigen sie recht gut die zukünftige Entwicklung, weil der Organismus verschiedener Arten ziemlich ähnlich auf höhere Temperaturen reagiert.

Demnach dürften Maiszünsler und Schadmotten, die dem Mais zusetzen, oder Drahtwürmer, Getreidehähnchen, Minierfliegen, Blattläuse, Getreidewickler und Gallmücken, die sich am Weizen gütlich tun, in den gemäßigten Regionen der Erde wie in Nordamerika, Europa und in den nördlichen Regionen Chinas vom Klimawandel profitieren. In den Tropen leben die Insekten dagegen oft schon bei optimalen Temperaturen.

In kühleren Regionen drohen höhere Verluste

Dort verschlimmert der Klimawandel die Ernteeinbußen durch Schadinsekten viel weniger als in den gemäßigten Breiten, weil Insekten noch höhere Temperaturen oft schlecht vertragen. Zikaden, Stängelbohrer, Heuschrecken und Wanzen mit Appetit auf den eher in tropischen Regionen angebauten Reis haben also im Klimawandel deutlich schlechtere Karten als ihre Kollegen in kühleren Breiten.

Daher haben vor allem die Europäer, Nordamerikaner und Chinesen gute Gründe, gegen den Klimawandel zu kämpfen. Gleichzeitig sollten diese Regionen ihre Landwirtschaft rasch an die Folgen steigender Temperaturen anpassen – nicht nur an die Zunahme gefräßiger Insekten. „Eine Patentlösung wird es allerdings kaum geben“, meint Markus Riegler. So hat der Öko-Landbau in wohlhabenden Regionen wie Europa zwar durchaus seine Berechtigung, die häufig geringeren Erträge aber dürften für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung kaum reichen – es sei denn, der Fleischkonsum ginge deutlich zurück. Riegler sieht deshalb die integrierte Landwirtschaft, die konventionelle und ökologische Methoden kombiniert, auf dem Vormarsch.

Da viele Insektizide aus dem Verkehr gezogen werden, weil sie die menschliche Gesundheit, die Natur oder beides gefährden könnten, werden andere Methoden für den Pflanzenschutz wichtiger. Dazu gehören Anbaumethoden, die zum Beispiel neben den Nutzpflanzen zusätzlich Pflanzen auf dem Acker wachsen lassen, die Schadinsekten das Leben schwermachen. Oder Getreidesorten, die aus eigener Kraft knabbernden Insektenmäulern Widerstand entgegensetzen. „Beim Züchten solcher Sorten könnten auch Methoden der modernen Gen- und Biotechnologie eine wichtige Rolle spielen“, ist Markus Riegler überzeugt.

Erträge in Gefahr

Pflanzen Wenige Nutzpflanzen bilden die Grundlage unserer Ernährung. Ein erheblicher Teil der weltweiten Getreideernte wird aber an Nutztiere verfüttert, die einen Teil der Nahrungskalorien für ihren Stoffwechsel brauchen. Würden weniger tierische Lebensmittel verzehrt, können mit der vorhandenen Ackerfläche mehr Menschen ernährt werden.

Krankheiten Nutzpflanzen werden nicht nur durch Insekten bedroht, sondern auch durch Pilze, Viren und Bakterien. Da Pestizide die Umwelt belasten, wird es immer wichtiger, die Krankheitsresistenz von Pflanzensorten durch Züchtung zu verbessern.