Hilfe für den Nächsten ist gesetzliche Pflicht. Doch Verstöße wegen unterlassener Hilfeleistung werden zu milde geahndet, meint unser Kommentator.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Bewusst wegschauen ist eine Straftat. Egal, ob man einen Rentner in Essen links liegen lässt oder einen verunglückten Motorradfahrer in Heidenheim filmt, statt die Polizei zu rufen. Wer einen Hilflosen sieht und achtlos weitermacht, als sei nichts geschehen, ist nicht nur ein unsolidarischer Fiesling, sondern muss auch eine Geldstrafe zahlen. So steht es im Strafgesetzbuch (StGB). Doch welche Summe ist für ein Menschenleben angemessen? Die drei Verurteilten, die den 83-jährigen Rentner unbarmherzig übersahen, müssen zusammen 8800 Euro zahlen.

 

Das Strafmaß: juristisch vertretbar – menschlich eine Zumutung

Hilf deinem Nächsten! Diese Maxime sei eine solidarische Pflicht, beteuert die Staatsanwältin. Deshalb müsse das Urteil ein „deutliches Zeichen“ setzen, dass „wir uns nicht in Richtung einer wegschauenden Gesellschaft bewegen“. Doch weder 8800 Euro Strafe noch eine Rüge vom Richter sind ein solches deutliches Zeichen. Das Strafmaß ist juristisch vertretbar – menschlich aber eine Zumutung. Das Dilemma: Für unterlassene Hilfe ist die Strafe relativ niedrig. Das pflichtvergessene Verhalten wird bestraft, nicht die Schwere seiner Folgen. Der Richter hätte die ganze Härte des Gesetzes anwenden und die Angeklagten zu einer Haftstrafe verurteilen können. Er hat es nicht getan – und damit die Chance für ein deutlicheres Zeichen für eine hinschauende Gesellschaft vertan.