In Stuttgart absolvieren die ersten Gemeinschaftsschüler ihren Realschulabschluss. Doch auf eine gymnasiale Oberstufe können sie in dieser Schulart nicht wechseln, da es diese noch gar nicht gibt. Im Bürgerzentrum West wurde erklärt, weshalb.

Stuttgart - Ihre erste Bewährungsprobe hat die Elise-von-König-Schule bereits hinter sich. Vor einem Jahr machten an Stuttgarts erster Gemeinschaftsschule 20 Schüler den Hauptschulabschluss – „alle inklusiven Förderschüler haben bestanden – eine Schülerin sogar mit zwei Fremdsprachen“, berichtet Konrektorin Katja Ibrahim. Nur ein Schüler fiel durch. Jetzt rüsten sich in Stuttgart-Münster 31 Zehntklässler der Gemeinschaftsschule für die Realschulprüfung.

 

Doch selbst wenn alle Prüflinge dabei bestens abschneiden sollten, können sie an der Gemeinschaftsschule kein Abitur machen. Noch nicht. Denn eine gymnasiale Oberstufe kann die Stadt erst einrichten, wenn dafür dauerhaft mindestens 60 Schüler zu erwarten sind. Und zwar 60 Schüler, die die Voraussetzungen für ein allgemeinbildendes Gymnasium in Klasse zehn erfüllen. Doch dafür müssen an den mittlerweile acht Gemeinschaftsschulen in Stuttgart erst genügend gymnasialfähige Schüler heranwachsen.

Zum Schuljahr 2021/22 könnte die gymnasiale Oberstufe starten

Dass dies gelingt, daran hat Bildungsbürgermeisterin Isabel Fezer keinen Zweifel, wie sie bei einer Informationsveranstaltung im Bürgerzentrum West deutlich machte. „Wir sehen uns gedrängt zu diesem nächsten logischen Schritt.“ Als möglichen Starttermin nannte Philipp Forstner, der stellvertretende Leiter des Schulverwaltungsamts, das Schuljahr 2021/22 – das sei allerdings „ein sportliches Programm“.

Als zentraler Standort für die gymnasiale Oberstufe aller acht Gemeinschaftsschulen ist die Schickhardt-Gemeinschaftsschule vorgesehen, räumlich allerdings am Standort der ehemaligen Heusteigschule im Süden. Forstner berichtet, man erarbeite dafür gerade ein Raumkonzept für eine dreizügige Oberstufe.

Das pädagogische Konzept für eine solche Oberstufe erarbeiten alle acht Schulen gemeinsam, was Fezer als sehr solidarisch lobte und den Schulen spontanen Beifall im gut gefüllten Saal eintrug. Zuvor hatten die Schulleiter die Besonderheiten der Gemeinschaftsschule erläutert. „Wichtig ist uns, dass die Schüler lernen, Verantwortung für ihr Lernen zu übernehmen“, sagte Matthias Bolay von der Eichendorffschule. Claus Schneider von der Gemeinschaftsschule Weilimdorf ergänzte: „Die Gemeinschaftsschule bietet Zugang zu allen Berufsfeldern – es reicht bis zu einer akademischen Laufbahn.“ Seine Kollegin Katrin Steinhülb-Joos von der Altenburgschule betonte, das Besondere an dieser Schulart sei die späte Entscheidung über die weitere Schullaufbahn – „erst in der Abschlussklasse wird auf einheitlichem Niveau geprüft“. Vorher können die Kinder selber entscheiden, ob und in welchem Fach sie auf Hauptschul-, Realschul- oder Gymnasialniveau lernen.

Statt Klassenzimmern ein Lernatelier für 250 Schüler

Dass Gemeinschaftsschule auch ganz anders gehen kann, berichtete Stefan Ruppaner von der Alemannenschule in dem 6500-Seelen-Ort Wutöschingen nahe der Schweizer Grenze: „Wir haben das relativ radikal gemacht: Bei uns gibt es keine Klassen, keine Klassenräume, keine Schulbücher mehr.“ Dafür ein Lernatelier für 250 Schüler – „klappt einwandfrei“, meint Ruppaner. Inhaltlich am wichtigsten sei, Schüler mit ihren Freunden und von ihren Freunden lernen zu lassen, sie zur Selbstverantwortung anzuleiten, Freundlichkeit und Wertschätzung – und genügend Zeit, damit die Schüler mit dem Lehrer sprechen können. Für starke Schüler sei diese Schulart „ein Paradies“.

Aus dem Publikum kamen Fragen zur Zuweisung der Gymnasiallehrer und ihren Karrierechancen. „Wir schreiben Stellen aus, die Gymnasiallehrer bewerben sich“, so Schulamtschef Thomas Schenk. Chancen auf eine A-15-Stelle als Abteilungsleiter haben Gymnasiallehrer allerdings nur an Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe.

Gesamtelternbeirat wünscht Oberstufe

„Wir sind froh, wenn die Oberstufe kommt“, sagte Doreen Halm vom Gesamtelternbeirat. Davon könnten neben Gemeinschaftsschülern auch Realschüler profitieren.

An der Elise-von-König-Schule wollen die meisten Abgänger nach der Realschulprüfung an ein berufliches Gymnasium wechseln, berichtete Ibrahim – „einige überlegen sich auch, in Klasse zehn am Zeppelin-Gymnasium weiterzumachen“.