„Irritiert und mit Unverständnis“ reagieren Schüler, Schulleiter und Eltern der acht Stuttgarter Gemeinschaftsschulen auf den medialen Angriff des Gymnasiallehrerverbands. Bei einem gemeinsamen Auftritt zeichnen sie ein positives Bild einer idealen Schulart. Was ist da dran?

Stuttgart - Mobbing der besser bezahlten Gymnasiallehrer, geschönte Noten, Sammelbecken für Schwache? Diese Vorwürfe, die der Philologenverband Baden-Württemberg von 20 unzufriedenen Gymnasiallehrern an Gemeinschaftsschulen (GMS) eingesammelt und veröffentlicht hat, treibt an den acht Stuttgarter GMS Schulleitern, Schülern und Eltern den Puls hoch. Gemeinsam luden sie zum Pressegespräch in die Schickhardt-Gemeinschaftsschule. Alles nicht wahr, versichern sie. Als Frontfrau haben sie Barbara Koterbicki dazugeladen, die geschäftsführende Schulleiterin, die allerdings selber eine Realschule leitet. Sie versichert: „Wir sind nicht in Konkurrenz.“ Dass in Stuttgart kaum Schüler zwischen Real- und Gemeinschaftsschule wechselten, wertet Koterbicki als Zeichen für Qualität.

 

Doch dieser Tage laufen die Anmeldungen an die weiterführenden Schulen, und noch immer ist es eben so, dass kaum jemand aus der Elterngeneration weiß, wie Gemeinschaftsschule funktioniert. Nicht wenige Familien machen sich erst dann mit der noch relativ jungen Schulart vertraut, wenn ihr Kind auf dem Gymnasium nicht mehr klarkommt. Petra Enßlin zum Beispiel. Ihr Sohn habe zwar eine Gymnasialempfehlung gehabt, aber, so berichtet sie: „Auf dem Gymnasium fand dieses Kind keine Wertschätzung.“ Deshalb sei es nach Klasse sechs auf die Altenburgschule gewechselt, eine Gemeinschaftsschule. Und sei „vom ersten Tag an gerne hingegangen“. Als Siebtklässler sei er „ein glückliches Kind“, sagt Enßlin, die auch Elternvertreterin ist. Dabei lerne der Bub auf dem E-Niveau, also dem erweiterten Niveau, wie das gymnasiale Niveau dort genannt wird.

Das gemeinsame Lernen kommt bei den Schülern gut an

Katrin Steinhülb-Joos, die Leiterin der Altenburgschule, erklärt: „Jeder ist bei uns richtig. Und Fehler sind erwünscht.“ Das bestätigt auch Schülersprecher Laurin Lüssenheide, der auch Mitglied im Landesschülerbeirat ist. „Ich fühle mich anerkannt als Person“, versichert er. „Wir bekommen immer eine Rückmeldung: Was hast du gut gemacht, was schlecht.“ Laurin, mittlerweile Zehntklässler, war mit einer Werkrealschulempfehlung in die Altenburgschule gekommen. „In der Grundschule wollte ich einfach Kind sein, da stand Schule nicht im Vordergrund“, erklärt er. Auch Mauricio, Schülersprecher der Körschtalschule, lässt auf seine GMS nichts kommen: Im Klassenverband helfe man einander, betont er – und benennt damit einen wichtigen Baustein der GMS. Dass stärkere Schüler schwächeren helfen, diene nicht nur dem sozialen Lernen: „Auch fachlich bringt das Miteinander was“, betont Sascha Müller, Gymnasiallehrer an der Schickhardt-GMS.

Stefanie Lenuzza, Leiterin der Körschtalschule, ergänzt: „Die Schüler kriegen Input auf unterschiedlichen Niveaus.“ Damit meint sie nicht nur kooperative und individualisierte Lernformen, sondern auch die drei unterschiedlichen Leistungsebenen, auf denen die Schüler in jedem Fach arbeiten können – auf Haupt-, Realschul- und Gymnasialniveau. Die Gretchenfrage, die viele Eltern interessiert, blieb unbeantwortet: Was für eine Schülerschaft findet ein Fünftklässler auf der GMS vor? An der Elise-von-König-GMS hat laut Schulleiterin Damaris Scholler die Hälfte eine Hauptschulempfehlung. Wie sich die andere Hälfte zusammensetzt, sagte sie nicht.

Die gymnasiale Oberstufe kommt in Stuttgart frühestens 2021/22

Steinhülb-Joos erklärte: „Alle Niveaus werden bedient – es spielt keine Rolle, wie der Schüler anfängt, sondern, wie wir ihn weiterbringen können.“ Und da komme das gemeinsame Lernen den Schülern „unglaublich entgegen“. Und, so die Rektorin: „Gute Schüler werden in der GMS noch besser.“ Sandra Vöhringer, Leiterin der Schickhardt-GMS, betonte, auf dieser Schulart hätten die Kinder Zeit, sich zu entwickeln. „Wir wollen das Beste aus jedem Kind rausholen – das kann, muss aber nicht das Abi sein.“ An ihrer Schule, so Vöhringer, arbeite eine volle Klasse in Stufe zehn auf dem E-Niveau. An Schollers GMS könnten sieben Zehntklässler direkt in ein allgemeinbildendes Gymnasium wechseln. Für sie kommt die geplante gymnasiale Oberstufe zu spät. Frühestens zum Schuljahr 2021/22 könnte sie in Stuttgart eingerichtet werden – wenn sich mindestens 60 Schüler dafür finden. Daran hat Koterbicki keinen Zweifel, zumal die gymnasiale Oberstufe einer GMS auch für Realschulabsolventen eine Alternative sei. Die sei ihnen näher als das Gymnasium.

Unabhängig davon steht auch der Gesamtelternbeirat (GEB) der Stuttgarter Schulen hinter der GMS. Offenheit, Inklusion, längeres gemeinsames Lernen und ein ausgeprägtes Klima der Wertschätzung – all dies werde dort umgesetzt, betonen die GEB-Vorsitzenden Georg Lois und Kathrin Grix. Und: „Fälle von Mobbing innerhalb des Lehrerkollegiums sind uns nicht bekannt.“ Lisa Nägele, Gymnasiallehrerin an der Elise-von-König-GMS, bestätigt: „Wir fühlen uns sehr wohl und keineswegs gemobbt.“ Für Mutter Enßlin und ihren Jüngsten steht fest, er wird – wie sein Bruder – auf der GMS angemeldet, auch wenn er das mit einem 1,6er-Schnitt seinen Viertklässlerkumpels nur schwer vermitteln könne.