Gesundheitswesen als Pflichtstoff an Schulen? „Wir müssen Begeisterung bei Kindern wecken“

Wann braucht es einen Notarzt, wann reicht ein Besuch beim Hausarzt? Viele wissen das nicht mehr. Foto: picture alliance/dpa/Uwe Anspach

Angesichts großer Probleme im Gesundheits- und Rettungswesen fordert die bekannte Tübinger Notärztin Lisa Federle, das Thema als Pflichtstoff im Schulunterricht zu verankern. Unterstützung kommt von der Barmer – das Land ist zurückhaltend.

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Die Forderung, die Lisa Federle, bekannte Buchautorin und Leitende Notärztin in Tübingen, vor Weihnachten erhoben hat, ist deutlich: Das Gesundheits- und Rettungswesen muss in ihren Augen mehrjähriger Pflichtbestandteil an allen Schulen in Baden-Württemberg werden. „Wir müssen endlich wieder ein Bewusstsein in der Bevölkerung für medizinische Themen schaffen. Das muss in den Schulen beginnen“, sagt sie. Angesichts von zahlreichen Fehleinsätzen beim überlasteten Rettungsdienst, von überfüllten Notaufnahmen, von Respektlosigkeiten und explodierenden Einsatzzahlen müsse das ein Weg sein, das Problem an der Wurzel anzugehen.

 

Jetzt kommt Zustimmung von auf den ersten Blick überraschender Seite. Die Krankenkassen, die das System finanzieren, halten sich öffentlich sonst mit Meinungsäußerungen zurück. Doch Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer Baden-Württemberg, fordert, dass der Vorschlag aufgegriffen wird. „Wir müssen die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung steigern, denn da ist in den letzten Jahren viel Wissen verloren gegangen. Die Schule wäre dafür ein guter Ort“, sagt er. Es herrsche auch ein Nichtwissen über das System an sich.

Die Zahl der Fehleinsätze etwa beim Rettungsdienst schätzt Plötze vorsichtig auf 20 bis 30 Prozent. Auch in den Notaufnahmen der Kliniken kämen „Leute, die nur leichtes Fieber haben“. Gründe seien teils Ahnungslosigkeit, teils aber auch lange Wartezeiten bei regulären Arztterminen. Plötze spricht sich gegen immer noch mehr Rettungswagen aus, für die ohnehin das Personal fehle: „Es ist genug Geld im System. Wir müssen die vorhandenen Ressourcen aber bedarfsgerecht einsetzen.“ Immer mehr sei nicht die Lösung, man müsse die Strukturen verbessern: „Man muss alle Akteure an einen Tisch holen. Es redet zwar jeder mit jedem, aber nicht alle zusammen.“

Plötze glaubt, dass Schulprogramme auch finanziell Vorteile hätten: „Jeden Euro, den man dort in die Prävention investiert, spart man später mehrfach ein.“ Und erreiche womöglich noch mehr: „Wir müssen bei den Kindern Begeisterung wecken. Dann tragen die ihr Wissen, etwa über das richtige Verhalten im Notfall, erste Hilfe oder auch gesunde Ernährung, in die Familien weiter.“ Das zeigten die Erfahrungen aus eigenen Präventionsprojekten wie „Ich kann kochen!“ oder der gemeinsamen Förderung des Schulsanitätsdienstes mit dem DRK.

Bisher gebe es an Schulen nur Einzelprojekte, an denen sich auch die Barmer beteilige, etwa die genannte Kooperation mit dem Roten Kreuz. „Das muss aber regelhaft werden“, so Plötze. Die Lehrer dürfe man dabei nicht allein lassen, sondern müsse einen breiten Sockel an Beteiligten schaffen: „Wir müssen Strukturen dafür aufbauen. Ich bin überzeugt, dass zum Beispiel viele Ärzte mitmachen würden.“

Die Initiative dafür muss aus Plötzes Sicht eindeutig von der Politik ausgehen. „Man muss einen Masterplan schaffen. Ich bin sicher, wenn es die Einladung zu einem runden Tisch gäbe, würden alle kommen“, sagt er. Ein solches Spitzengespräch, etwa mit Sozial- und Kultusministerium, habe es bisher noch nicht gegeben.

Ministerium verweist auf Projekte

Auf Nachfrage äußert man sich beim Kultusministerium zurückhaltend zu den Vorschlägen. Zwar misst man dem Thema auch dort hohe Bedeutung bei, glaubt aber, dass der bisherige Umfang genügt. „Medizinisches Grundlagenwissen sowie das Thema der Ersten Hilfe ist in Baden-Württemberg bereits qualitativ gut und nahezu flächendeckend in den Schulen verankert“, sagt eine Sprecherin. Bereits seit dem Schuljahr 2004/05 legten in Baden-Württemberg Bildungsstandards fest, über welche Kompetenzen Schülerinnen und Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Schulkarriere verfügen müssten, darunter auch das Thema Erste Hilfe. Im Bildungsplan 2016 sei zudem die Leitperspektive „Prävention und Gesundheit“ verankert.

Das Ministerium zählt diverse Projekte und Kooperationen auf, auch in Form von außerschulischen Projekten und Arbeitsgemeinschaften. Schülerinnen und Schüler würden so befähigt, Notsituationen richtig einschätzen zu können, im Notfall zielgerichtet reagieren zu können, grundlegende Erste-Hilfe-Maßnahmen kennenzulernen und anzuwenden, einen Notruf absetzen zu können und Erste-Hilfe-Maßnahmen zu trainieren. Darüber hinaus sei es dem Land ebenso wichtig, „dass alle Lehrkräfte in Erster Hilfe ausgebildet sind“.

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