Furio Guerri hat seine Frau erschlagen und seine Tochter gewissermaßen zur Vollwaise gemacht. Als die 16-Jährige auf die schiefe Bahn zu geraten droht, mischt sich der mittlerweile haftentlassene Vater ein. Ein Meisterstück von Giampaolo Simi.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Furio Guerri ist das, was man leichthin als „keinen schlechten Menschen“ bezeichnet. Vater, Ehemann, Kollege. Die Fassade stimmt. Sich selbst nennt Guerri aber ein Monster. Er hat einen Kollegen ans Messer geliefert. Er hat seine Frau erschlagen. Und er hat damit seine sechsjährige Tochter de facto zur Waise gemacht.

 

„Vater. Mörder. Kind.“ heißt der Roman von Giampaolo Simi, in dem Guerri seine Geschichte erzählt. Die Geschichte eines gutbürgerlichen Druckereivertreters, der mit allen Wassern gewaschen ist, eine ausgesprochen attraktive Frau hat und dessen Tochter auch nicht sehr viel verzogener ist als andere Kinder auch. Das Leben der Familie wird nicht durch intellektuelle oder ethische Höhenflüge getrübt. Was der Kleinen ihre Fantasy-Mangas, ist der Mutter das Shoppen und dem Vater ein betagter Alfa Spider.

Das Glück erodiert an allen Ecken und Enden

Doch das oberflächliche Glück der Guerris ist bedroht, es erodiert an allen Ecken und Enden. Das fängt bei der weltwirtschaftlichen Großwetterlage an (selbst einer wie Furio, der Mann mit den auf Hochglanz gewienerten Schuhen, kann nichts mehr weglächeln und beiseite schwindeln, wenn ein Großauftrag nach Hongkong geht). Und das hört im familiären Kleinkrieg nicht auf. Wo er in einer beruflich heiklen Situation Ausgaben bremsen will, fordert sie einen teuren Trip ins Disneyland – die Tochter habe es sich so gewünscht. Wo sie ihm Gründe zu der Annahme liefert, sie gehe fremd, setzt er der Sechsjährigen scheinheilig den Floh ins Ohr, sie solle sich doch ein Brüderchen wünschen.

Es kommt zu Handgreiflichkeiten, es kommt zur Katastrophe.

Zartere Gemüter sollen allerdings beruhigt sein. Anders als es Simi in seinem geschickt aufgebauten Spannungsbogen vermuten lässt, endet die Ehe nicht in einem monströsen Gemetzel. Das Monströse spielt sich nicht in einer Bluttat ab, sondern in den Köpfen.

Pflegling bei „den beiden Ärschen“

Mit dem Tod der Ehefrau beginnt das Martyrium der Tochter. Von einem Tag auf den anderen werden ihr Mutter und Vater entrissen. Sie kommt bei Onkel und Tante unter, einem selbstgerechten Arztehepaar, das seinem Pflegling die eigene Kinderlosigkeit zum stillen Vorwurf macht. Das Stiefkind nennt sie nur „die beiden Ärsche“. Spätestens als 16-Jährige kommt das Mädchen bedrohlich nahe an die schiefe Bahn. Sein einziger Lichtblick ist ein anonymer Chatpartner, hinter dem sich kein anderer als der Vater verbirgt.

Was sich nach Schmonzette oder Kolportage anhören mag, ist in Wirklichkeit die glaubwürdige Beschreibung menschlicher Unzulänglichkeiten. Von Rührseligkeit keine Spur. Dafür die Gewissheit, dass mancher schöne Schein trügerischer, manche bürgerliche Daseinskonstruktion brüchiger und manche Biografie gefährdeter ist, als man das vielleicht wahrhaben möchte.

Giampaolo Simi ist kein Zyniker. Er wertet nicht, er schildert genau. Und er begegnet seinen Figuren – auch den am Rande stehenden – mit kritischer Empathie. Das macht seinen Roman so herausragend.

Giampaolo Simi: „Vater. Mörder. Kind.“ Roman. Aus dem Italienischen von Anja Nattefort. C. Bertelsmann, München. 304 Seiten, 19,99 Euro. Auch als E-Book, 15,99 Euro.