Kyriakos Mitsotakis und seine konservative Nea Dimokratia (ND) haben ihren Vorsprung im Endspurt zur Wahl weiter ausbauen können. Die Mehrheit der Griechen unterstützt die praktizierte Migrationspolitik.

Der Untergang eines Fischkutters, bei dem in der vergangenen Woche vor der griechischen Halbinsel Peloponnes Hunderte Migranten ums Leben kamen, prägt die letzte Phase des Wahlkampfs in Griechenland. Großen Einfluss auf den Ausgang der Parlamentswahl am Sonntag wird die Tragödie aber wohl nicht haben. Der Gewinner der griechischen Parlamentswahl heißt aller Voraussicht nach Kyriakos Mitsotakis.

 

Letzten Umfragen zufolge haben Mitsotakis, der bereits in den vergangenen vier Jahren regierte, und seine konservative Nea Dimokratia (ND) ihren Vorsprung laut Prognosen auf etwa 40 bis 43 Prozent ausbauen können. Auf Platz zwei weit abgeschlagen mit 17 bis 20 Prozent: das radikal-linke Bündnis Syriza von Alexis Tsipras, der von 2015 bis 2019 Ministerpräsident war.

Wahl mit Bonus für stärkste Partei

Die Wahl am Sonntag ist der zweite Urnengang in Griechenland in fünf Wochen. Am 21. Mai stimmten die Wahlberechtigten zwar über ein neues Parlament ab, doch es kam keine Regierungsbildung zustande. Jetzt wird erneut gewählt – diesmal nach einem Wahlrecht, das die stärkste Partei mit einem Bonus von bis zu 50 der 300 Parlamentssitze belohnt. Laut Umfragen kann Mitsotakis mit einer absoluten Mehrheit von etwa 160 Mandaten rechnen. Weil der Sieger festzustehen scheint, verfolgten viele den Wahlkampf zuletzt unaufgeregt.

Dann ereignete sich das Schiffsunglück. Es löste in Griechenland tiefe Bestürzung aus. Mit dem Untergang des Kutters kam das Thema Migrationspolitik auf die Wahlkampf-Agenda. Nach dem Unglück rief die Übergangsregierung eine dreitägige Staatstrauer aus. Kundgebungen der politischen Parteien wurden in dieser Zeit abgesagt.

Migrationspolitik und Flüchtlingsunglück in der öffentlichen Diskussion

Syriza-Chef Tsipras versuchte die Katastrophe auszuschlachten. Er warf Mitsotakis und den Konservativen vor, sie trügen Mitschuld am Tod der Menschen. Denn mit ihrer Politik der Abschottung der griechischen Grenzen zur Türkei habe sie die Migranten praktisch gezwungen, längere und riskantere Überfahrten von Nordafrika nach Italien zu wagen. Viel Widerhall fand Tsipras mit dafür in der Öffentlichkeit nicht, außer bei linken Splittergruppen, die bei Protesten in griechischen Städten eine völlige Öffnung der Grenzen und die bedingungslose Aufnahme aller ankommenden Migranten forderten. Mitsotakis verteidigte bei seinen letzten Kundgebungen vor der Wahl seine Migrationspolitik als „strikt aber fair“.

In den vergangenen vier Jahren hat Griechenland große Abschnitte der Landgrenze zur Türkei mit kilometerlangen Sperrzäunen gesichert – eine Reaktion auf die Krise vom Februar 2020, als Zehntausende Migranten unterstützt von der türkischen Regierung wochenlang die türkisch-griechische Grenze belagerten. In der Ägäis verstärkte die Regierung Mitsotakis die Patrouillen, um Migrantenboote aus den griechischen Hoheitsgewässern fernzuhalten. Bei rund 80 Prozent der griechischen Bevölkerung findet diese Politik Zustimmung, wie Umfragen zeigen. Griechenland ist allerdings seit Jahren mit dem Vorwurf konfrontiert, dass seine Küstenwache und Grenzpolizei sogenannte „Pushbacks“ praktizieren, völkerrechtswidriges Zurückdrängen von irregulären Migranten ohne Möglichkeit eines Asylantrags. Die konservative Regierung bestritt diese Vorwürfe.

Ermittlungsverfahren zur Unglücksnacht eingeleitet

Zu den Ereignissen in der Unglücksnacht machen Überlebende der Havarie und griechischen Behörden widersprüchliche Angaben. Was wirklich passiert ist, soll ein Ermittlungsverfahren klären, das der Staatsanwalt beim Obersten griechischen Gerichtshof eingeleitet hat. Neun Ägypter, die zur Besatzung des Kutters gehörten sitzen inzwischen in Griechenland in Untersuchungshaft. Sie wurden von anderen Geretteten als Komplizen der Schleuser identifiziert. Ihnen drohen jahrzehntelange Haftstrafen.