Bei einem Brand in einem Wohnhaus in Backnang sterben sieben Kinder und ein Erwachsener, alle gehören zu einer türkischen Großfamilie. Die Stadt ist geschockt - und die Brandursache weiter unklar. Einen Anschlag schließen die Behörden aus.

Backnang - Entsetzen in den Gesichtern und Sprachlosigkeit. Die Menschen, die am Sonntagvormittag in Backnang an den Unglücksort gekommen sind, können nicht fassen, was passiert ist: ein nächtliches Feuer hat acht Familienmitglieder getötet, eine Mutter türkischer Herkunft und ihre sieben Kinder im Alter von sechs Monaten bis 16 Jahren. Die Suche nach den Opfern des Brandes ist schwierig, das Haus einsturzgefährdet.

 

Das ehemalige Gerbereigebäude in der Wilhelmstraße 33 ist seit Stunden weiträumig abgesperrt. Mehr als 100 Feuerwehrleute, Dutzende Beamte und Rotkreuzhelfer stehen auf der abgeriegelten Kreuzung. Die Ermittler sprechen von einem technischen Defekt an einem Holzofen als mögliche Brandursache, Genaueres kann noch keiner sagen. Drei Menschen konnten die Einsatzkräfte retten, der Vater der Familie sei nicht zu Hause gewesen, sagt die Polizei. In dem gelb getünchten Haus, das vom Ruß gezeichnet ist, habe die Großfamilie gelebt, erzählen die Umstehenden. Eine Mutter und zehn Kinder, die Eltern lebten angeblich getrennt. In der Brandnacht habe die Familie zudem Besuch gehabt.

Die Nachricht von der Tragödie in der schwäbischen Kleinstadt spricht sich schnell herum: Immer mehr Angehörige und Freunde der Familie eilen herbei, auch etliche Schaulustige stellen sich hinter den Polizeiabsperrungen auf. Männer, Frauen und Kinder, die meisten gehören zur türkischen Gemeinde von Backnang. Fast jeder weiß etwas zu erzählen.

Vielleicht ein Kurzschluss in der Elektrik

„Wir haben davon im türkischen Fernsehen gehört“, sagt ein Mann, der selbst in Backnang wohnt. Er steht vor dem türkischen Kulturverein Eyyüb Sultan Camii, keine 200 Meter vom Katastrophenort entfernt, und beobachtet die Feuerwehrleute. Er sei ein Freund eines Onkels der Familie. Schrecklich sei das alles, „ganz schrecklich“. An einen fremdenfeindlichen Anschlag glaubt er nicht. Die Türken in Backnang seien gut gelitten. „Wir haben keine Probleme hier.“ Es könnte ein zufälliges Unglück sein, vielleicht ein Kurzschluss in der Elektrik, spekuliert er. Die Bewohner hätten wegen der Leitungen schon bei dem Vermieter vorgesprochen.

Viele sagen, sie hätten die Familie gekannt. Der 13-jährige Enes und sein ein Jahr älterer Kumpel Nebi erzählen, dass der Vater der betroffenen Familie noch in der Nacht zum Haus gefahren sei und verzweifelt versucht haben soll, in das brennende Gebäude zu gelangen, um seine Kinder zu retten. Vergeblich. Polizisten hätten ihn zurückgehalten. „Es ist traurig, wenn Freunde sterben“, sagt Enes.

Einen Anschlag vermutet keiner

Vor Ort sind viele türkische Journalisten, einer von ihnen ist Mustafa Gemici, der für eine türkische Fernsehstation und für eine türkische Zeitung arbeitet. Er hat sich alles angehört in der Pressekonferenz mit Backnangs Oberbürgermeister Frank Nopper, dem Rems-Murr-Polizeichef Ralf Michelfelder, dem Einsatzleiter der Feuerwehr Daniel Köngeter und dem türkischen Generalkonsul Mustafa Türker Ari. Er hat notiert, dass die Beamten einen fremdenfeindlichen Hintergrund ausschließen. Doch Gemici sagt, er bleibe skeptisch: „Alles ist offen.“ Es sei doch noch viel zu früh, die Sache abschließend zu bewerten. Nicht nur die türkischen Medienvertreter sind wegen der NSU-Morde sensibilisiert. Ein Frankfurter Journalist fragt den Generalkonsul, ob er den deutschen Ermittlungsbehörden vertraue. Natürlich, antwortet dieser. Ein Landsmann von Gemici, der schon lange in Backnang wohnt, sagt: „In Backnang leben wir gut zusammen.“ Ein Anschlag? „Nein, auf keinen Fall.“

Polizei und Feuerwehr gehen davon aus, dass das Feuer in der Wohnung der Großfamilie ausgebrochen ist. Es gebe keinerlei Hinweise auf ein Einwirken von außen, wird immer wieder betont. Die Türen seien verschlossen gewesen. Ein Anwohner, der den Brand entdeckt hatte, habe die Haustür aufgebrochen, sagt der Kreisbrandmeister Andreas Schmidt. Da seien ihm die Flammen entgegengeschlagen. Alles deute darauf hin, dass der Brand bereits einige Stunden vor der Alarmierung der Feuerwehr – das war um 4.33 Uhr – ausgebrochen sei. Nur sieben Minuten später waren die Helfer vor Ort. Die Bewohner seien wahrscheinlich im Schlaf in der Fünfzimmerwohnung überrascht worden, sagt Schmidt, sie starben wohl an Rauchvergiftungen. Vier Leichen habe man in den Kinderzimmern gefunden, vier weitere in den Räumen nebenan.

Das Erdgeschoss wird mit schwarzen Tüchern zugehängt

Auf der Straße steht auch Doris Holzwarth, sie arbeitet als Tagesmutter und hat drei Söhne der Großfamilie regelmäßig nachmittags betreut. Sie hat ihnen bei den Hausaufgaben geholfen, mit ihnen gespielt. Die Familie sei arm und bedürftig gewesen, einer der Jungs habe später Polizist werden wollen. Doris Holzwarth blickt mit versteinertem Gesicht in Richtung der Brandruine. Aus den Fenstern im ersten Stock steigt noch immer leichter Rauch auf. Das Erdgeschoss wird jetzt mit schwarzen Tüchern zugehängt. Die Leichen sind noch im Gebäude, sie sollen nach und nach geborgen werden.

Ein paar Schritte weiter steht Kenan Demirkapi und blickt düster vor sich hin. Er lebt seit 1971 in Backnang und erzählt, dass er die 16-jährige Tochter der Familie gut gekannt habe. Die Schülerin habe bis Freitag bei seinem Bruder, der einen Friseursalon betreibt, ein Praktikum gemacht. „Wir sind geschockt“, sagt Demirkapi.

Tief betroffen zeigt sich auch Oberbürgermeister Frank Nopper, der von Journalisten umringt wird und in viele Mikrofone sprechen muss. Er versichert, dass er tieftraurig sei, dass er mit den Hinterbliebenen und Freunden der Familie fühle. Was soll er auch sagen angesichts einer Katastrophe, für die es keine Worte gibt?

Der Innenminister trifft die Traumatisierten

Am frühen Nachmittag trifft der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall ein. In einem Seniorenheim in der Nähe hat das Rote Kreuz eine Erstversorgung für traumatisierte Beteiligte eingerichtet. Auch die Großmutter der Kinder, die zusammen mit einem Onkel und einem elfjährigen Jungen von einer Dachterrasse im Hinterhof gerettet werden konnte, soll sich dort aufhalten. Das Kind sei bei Verwandten untergekommen, der Onkel befinde sich in einem Krankenhaus, heißt es.

Der Innenminister spricht der Großmutter und anderen Angehörigen hinter verschlossenen Türen sein Beileid aus. Man solle an die Betroffenen und Hinterbliebenen denken, sagt er den Journalisten. „Diese Ereignisse haben Spuren hinterlassen, bei den Angehörigen, bei den Menschen in Backnang.“ Über die Ursachen will auch er nicht spekulieren, ebenso wenig wie der Ministerpräsident und der türkische Botschafter, die beide am frühen Abend in Backnang eintrafen.

Ob er so etwas in seiner Laufbahn je erlebt habe, wird der Waiblinger Polizeisprecher Klaus Hinderer gefragt. „Nein“, antwortet er mit brüchiger Stimme. „Oder sagen wir so: Das ist der zweite ,worst case‘ in meinen 42 Jahren als Polizist. Morgen ist der vierte Jahrestag des Amoklaufs von Winnenden.“