Die Stadt an der Echaz will raus aus dem Landkreis. OB Barbara Bosch und Landrat Thomas Reumann ringen hart gegeneinander. Jetzt auch mittels Zeitungsanzeigen.

Stuttgart - In den Fasnachtstagen kommt es ja sehr auf gute Stimmung an, doch ebendiese sah man im Rathaus der stolzen Reichsstadt Reutlingen zuletzt akut gefährdet. Weshalb die Stadtverwaltung mittels einer in den örtlichen Presseorganen geschalteten Anzeige unter der Überschrift „Reutlingen muss Stadtkreis werden“ die Bürger warnte: „Lassen Sie sich nicht durch Stimmungsmache in die Irre führen.“ Was zähle, seien „seriöse Informationen“, nicht „alternative Fakten“.

 

In einem bitteren Streit verfangen

Letztere verbreitet nach Ansicht der Stadt Reutlingen kein geringerer als der Chef des Landkreises Reutlingen, Landrat Thomas Reumann. Dazu muss man wissen: Stadt und Landkreis haben sich in einem im Zeitverlauf an Bitternis zunehmenden Streit verfangen. Reutlingen will mit seinen 115 000 Einwohnern unter Führung von Oberbürgermeisterin Barbara Bosch den Landkreis verlassen und einen eigenen Stadtkreis begründen – so beschlossen Mitte 2015 mit Dreiviertelmehrheit des Gemeinderats. Der Landkreis verlöre damit allerdings sein potentestes Mitglied – eine arge Schmach für Landrat Reumann, der Bosch einst als Erster Bürgermeister gedient hatte. Solche Streitigkeiten haftet ja nicht selten eine persönliche Note an. Reumann also wandte sich am Samstag mit einer Anzeige an die Unternehmen in seinem Wirkungsbereich.

Der Antrag wird nicht bearbeitet

Darin bezog er sich auf eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen zum Thema Auskreisung. Diese wiederum reagierte als „Trägerin öffentlicher Belange“ auf eine Anfrage der Landesregierung, die sich inzwischen auf Drängen der Regierungsfraktionen im Landtag der Sache angenommen hat. Nicht überstürzt. Seit Juli 2015 liegt der Reutlinger Antrag in Stuttgart und sammelt Staub. Grüne und CDU wollen nun Vor- und Nachteile einer Auskreisung erkunden. Bis März muss die Landesregierung Daten und Fakten liefern. Die Entscheidung obliegt dem Parlament. Mit der Anzeige wollte Landrat Reumann den von der IHK befragten Unternehmen Argumente an die Hand geben. Seit erstes Argument ist das klassische: Die Landkreisstruktur habe sich seit 44 Jahren bewährt, schreibt er. Und kommt zu dem Schluss: „Wenn es nicht nötig ist, etwas zu ändern, dann ist es nötig, es nicht zu ändern.“ Landkreis und Stadt seien gemeinsam stärker und gehörten „aufgrund der unzähligen Verflechtung zusammen“. Eine Auskreisung führe zu unwirtschaftlichen Doppelstrukturen. Reumanns Appell: „Der Erhalt der Solidargemeinschaft statt Kirchturmdenken ist für die Gestaltung der Zukunft entscheidend.“ Kirchturmdenken? Solche Anwürfe zum Morgenkaffee wollte Reutlingens OB Bosch nicht hinnehmen. „Das kann man so nicht stehen lassen“, befand sie – und gab eine Gegenanzeige in Auftrag. Tenor: Die Zugehörigkeit zum Landkreis sei für Reutlingen nachteilig und behindere die Entwicklung der Stadt. Reutlingen, so argumentieren die Reutlinger Unabhängigkeitskämpfer, sei die einzige Großstadt im Land, die – obwohl ohne Weiteres zu vergleichen mit den Stadtkreisen Ulm, Heilbronn oder Pforzheim – nicht Stadtkreis sei. Derzeit zahle Reutlingen mehrfach: direkt aus dem Haushalt und indirekt über die Kreisumlage, die zu 43 Prozent von der Stadt Reutlingen aufgebracht werde.

Kirchturmdenken und alternative Fakten

Bedenkenswert ist auf jeden Fall dieser reichsstädtische Hinweis an Landrat Reumann: Es gehe um die „beste Verwaltungsstruktur“, aber „nicht um Leben und Tod“.