Pünktlich zum Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Gül attackiert Kretschmann die Bundesregierung - wegen ihrer Türkeipolitik.  

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Berlin - Wir liegen da nicht auf einer Linie mit der Bundesregierung." Dieser Satz war am Dienstag von Winfried Kretschmann mehrere Male zu hören. Vor allem die hohen Hürden beim Nachzug von Ehegatten aus der Türkei wurden von dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten heftig kritisiert. Bei den Einwanderern nach Deutschland dürfe nicht nach der Herkunft unterschieden werden, forderte er und ergänzte: "Eine Neuseeländerin, die hierher kommt, muss keinen Sprachtest machen." Damit liegt er auf einer Linie mit dem türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül, der zu Beginn seines Staatsbesuches in Deutschland die Einwanderungspolitik der Bundesregierung sehr deutlich kritisiert hatte. Gül besucht zum Abschluss seiner Reise heute Stuttgart.

 

Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) hält, im Gegensatz zu Kretschmann, einen Sprachtest für ein wichtiges Instrument, um die Integration der Einwanderer zu forcieren. Anfangs sei auch sie gegen Sprachtests gewesen, habe dann aber erkennen müssen, dass diese doch einen gewissen Nutzen hätten. Sie plädiert aber dafür, die Tests erst nach der Einreise der Ehepartner nach Deutschland durchzuführen.

Auf den Nachweis von Sprachkenntnissen verzichtet Deutschland bei Ehepartnern, die aus einem EU-Land oder aus Ländern nach Deutschland kommen, mit denen besondere wirtschaftliche Beziehungen unterhalten werden. Zu Letzteren gehören nach Aussage von Öney Neuseeland, Korea, die USA und Andorra.

Visum in der Kritik

Öney und Kretschmann gingen mit der Praxis der deutschen Behörden bei der Erteilung von Visum für Türken scharf ins Gericht. Sie sei schwer zu verstehen und passe nicht in die Zeit, monierte Kretschmann. "Das halte ich für eine ganz abstruse Praxis, die gegen die Interessen beider Länder verstößt", sagte er mit Blick auf Probleme von Geschäftsleuten, die nach Deutschland kommen wollen. Öney hat nach eigenen Worten im Außenministerium - allerdings ohne Erfolg - für eine liberalere Handhabung der Visumerteilung durch die deutsche Botschaft in Ankara geworben.

Am Dienstag traf sich Gül mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Dabei unterstrichen beide Politiker, wie wichtig die Bedeutung von Sprachkenntnissen bei der Integration sind. In dem Gespräch sei es "um die ganze Bandbreite der deutsch-türkischen Beziehungen" gegangen, "insbesondere auch um die notwendige und gewünschte Integration der türkischstämmigen Migranten in Deutschland", sagte ein Regierungssprecher. Beide Seiten seien sich jedoch einig, "dass die deutsche Sprache möglichst gut und frühzeitig erlernt wird".

Zu Diskussionen im Verhältnis beider Staaten führt immer wieder auch der von der Türkei angestrebte Beitritt zur Europäischen Union, den die Bundeskanzlerin sehr skeptisch beurteilt. Beide Seiten hätten ihre Ansichten dargelegt, betonte der Sprecher - was im Klartext heißt, dass Merkel und Gül dazu völlig unterschiedliche Auffassungen haben.

In Stuttgart machte Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Dienstag sehr deutlich, dass er auch zu diesem Thema eine völlig andere Haltung einnehme als die Bundesregierung. Wenn die Türkei die Bedingungen für den EU-Beitritt erfülle, müsse sie aufgenommen werden, sagte der Regierungschef. Das sei doch selbstverständlich.