Handball-EM So tickt der deutsche Nationaltorhüter Till Klimpke

Till Klimpke freut sich über eine seiner 14 Paraden gegen Österreich. Foto: dpa/Marijan Murat

Till Klimpke zahlt mit Glanzparaden das Vertrauen des Bundestrainers zurück. Was macht den Torwart aus Wetzlar so stark, und warum harmoniert er so gut mit Andreas Wolff?

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Stuttgart - Seine 14 Paraden bedeuteten eine Quote von 42 Prozent gehaltener Bälle. „Das ist Weltklasse“, lobte Bundestrainer Alfred Gislason nach dem 34:29 bei der EM gegen Österreich seinen Torwart Till Klimpke (23). Der Sportvorstand Axel Kromer verteilte unterdessen verbale Streicheleinheiten an die eigentliche Nummer eins zwischen den Pfosten: „Ich habe Andreas Wolff für seinen emotionalen Auftritt abseits des Feldes gratuliert. Er hat sich super empathisch über Tills Paraden gefreut.“

 

Sehr vieles spricht dafür, dass der 30-jährige Mann vom polnischen Topclub KS Kielce am Dienstag (18 Uhr/ZDF) gegen Polen im Tor stehen wird. „Andi kennt den Gegner aus der Liga extrem gut“, sagt Gislason. Doch Wolff will immer spielen. Er hasst es, auf der Bank zu sitzen. Sein großes Ego mit einem gewissen Hang zur Extravaganz lässt das nicht zu. „Ich bin nicht von draußen gekommen und habe ein paar Schlammspuren auf dem Teppich hinterlassen – ich habe einfach die Tür eingetreten“, sagte er nach dem EM-Triumph 2016. Damals hatte er sich mit genialen Paraden ins Rampenlicht katapultiert. Als weitgehend unbekannter Torwart von der HSG Wetzlar.

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Auch Till Klimpke spielt beim Bundesligisten aus Mittelhessen. Und zumindest der breiten Öffentlichkeit war er bis zu seiner Gala gegen Österreich auch weitgehend unbekannt. Ohne ihn gleich zu Deutschlands neuem „Hexer“ hochzujubeln, drängt sich die Frage auf: Kann erneut ein No-Name-Keeper aus Wetzlar eine deutsche Mannschaft durchs Turnier tragen? „Till hat sich in den vergangenen vier Jahren in der Bundesliga gut entwickelt und gezeigt, was er kann, seine Leistung überrascht mich nicht“, sagt Ex-Nationaltorwart Henning Fritz gegenüber unserer Zeitung. Ob die durcheinandergewirbelte Hierarchie aber nicht ein Problem darstelle für Platzhirsch Wolff? Fritz: „Entscheidend ist letztendlich immer der Erfolg, und ganz wichtig ist dabei eine offene Kommunikation durch den Trainer. Andi muss die Denkweise von Alfred Gislason kennen.“

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Und Till Klimpke? Er sieht die Sache locker und kann prima leben mit dem Motto „vier Hände für Deutschland – doppelt hält besser“. Nach dem freiwilligen Verzicht von Jogi Bitter (39) und der Nichtnominierung von Silvio Heinevetter (37) ist er froh, überhaupt dabei zu sein: „Ich versuche, diese frei gewordene Position im Tor anzugreifen und mich früher oder später im Nationalteam zu etablieren.“ Mit Blick auf das Polen-Spiel, in dem es um wichtige Punkte für die Hauptgrunde geht, ergänzt er selbstlos: „Ich würde mich sehr freuen, wenn Andi ein sehr gutes Spiel machen und es für uns gewinnen würde.“

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Überhaupt ist Klimpke ein unaufgeregter Typ. Er lebt im 3100-Seelen-Dorf Dutenhofen. Hier tankt er Kraft für den Handball und findet seine innere Ruhe. Wann immer es möglich ist, zieht es den Naturburschen an die frische Luft. Oft mit seinem Hund Pippen, benannt nach der NBA-Legende Scottie Pippen. Manchmal begleitet er einen Kumpel mit auf die Jagd und sitzt stundenlang auf dem Hochsitz – als stiller Beobachter zwischen Wald und Wiesen. Doch Klimpke hat auch ein Faible für große Motoren und schwere Maschinen. Als er mit 16 Jahren die Schule beendete, absolvierte er eine Ausbildung zum Land- und Baumaschinenmechaniker. Schon damals trainierte er meist zweimal am Tag. Für ihn nichts Außergewöhnliches. Der Handball ist ihm schließlich in die Wiege gelegt. Vater Wolfgang und Onkel Andreas standen mit der HSG 1998 im Europapokalfinale, Bruder Ole (20) spielt im HSG-Bundesligateam im Rückraum, Mutter Ruth schmeißt seit Jahrzehnten die Geschäftsstelle des Clubs.

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Die Klimpkes stehen für Wetzlar, genauso die Torwartschule. Sie genießt einen exzellenten Ruf, und maßgeblichen Anteil daran hat der Torwarttrainer Jasmin Camdzic. Er hat seit 2011 viele herausragende Keeper geprägt. Vor Klimpke trimmte er neben Wolff auch Benjamin Buric, den bosnischen Nationaltorhüter der SG Flensburg-Handewitt, zu einem internationalen Topmann. Vielleicht ist die gemeinsame Wetzlarer Vergangenheit ein Grund, dass das Duo Wolff/Klimpke nicht nur ein gutes Torwartgespann ist, sondern auch eines, das sich mag. Ganz sicher sogar erkennt Henning Fritz auf dem Feld die gemeinsame Wetzlarer Schule: „Beide stehen mit ähnlicher Strategie im Tor. Sie beschäftigen sich mit Winkeln und Räumen. Andi wirft sich eher mit dem ganzen Körper in einen Wurf, Till versucht mit einem langen Schritt den Ball aus der Ecke zu holen.“

Wenn sich jetzt noch die deutsche Abwehr steigert, dann könnte das neu formierte deutsche Team bei der EM vielleicht doch für eine Überraschung sorgen.

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