Harald Krassnitzer, seit 23 Jahren „Tatort-Star aus Österreich, gastiert am Sonntag mit „Wiener Melange“ in Fellbach. Im Interview spricht er über Österreich, Theater in Coronazeiten und über den Verlust seiner Ziehharmonika.

Fellbach - Den österreichischen Film- und Theaterschauspieler Harald Krassnitzer kennt man bundesweit dank seiner früheren Einsätze im „Bergdoktor“ und seit 1999 in der Rolle als Wiener „Tatort“-Kommissar Moritz Eisner. An diesem späten Sonntagnachmittag gastiert er in Fellbach im Hölderlinsaal mit einer literarisch-musikalischen „Wiener Melange“ und stellt Texte von klassischen Kaffeehausliteraten aus Österreich vor. Das veranstaltende Fellbacher Kulturamt verspricht „Starglanz in der Schwabenlandhalle“. Am Freitag haben wir den freundlichen, eloquenten 61-Jährigen für ein Interview am Telefon erreicht.

 

Herr Krassnitzer, fast zwei Jahre ist nun auch die Kultur im Würgegriff der Pandemie. Wie haben Sie die vergangenen Monate erlebt: Absagen, Drehpausen?

Es gab schon Ausfälle, in München musste Ende November das geplante „Salzburger Adventssingen“ im Prinzregententheater auf Dezember 2022 verschoben werden. Aber manches geht durchaus. Zuletzt waren wir mit dem Stück „Chocolat – eine himmlische Verführung“ unterwegs, zusammen mit meiner Frau Ann-Kathrin Kramer. Im harten Lockdown gab es dann eine umfassendere Verschiebung, aber im vergangenen Sommer waren wir auch bei Ihnen in der Gegend, bei den Festspielen im Park in Göppingen. Und im Herbst musste man eben die vorgegebenen Maßstäbe beachten – meist mit der Hälfte der Auslastung. Aber es gab auch da Ausnahmen, so war’s erstaunlich, wie in Nordrhein-Westfalen der Saal rappelvoll war.

Und natürlich alle Besucher mit Maske – ein komischer Anblick?

Ach, daran gewöhnt man sich. Man spürt, beide Seiten, also die Schauspieler auf der Bühne wie das Publikum, haben das Bedürfnis, dass Kultur wieder möglich ist, dass wieder was passieren kann, dass sie auch uns spüren lassen, dass sie solche Erlebnisse brauchen, weil’s schön ist.

In Fellbach nun bieten Sie reichlich Wiener Schmäh – und das als Salzburger, da ist der Dialekt doch ein anderer.

Das stimmt, das Salzburgerische geht ins Bayerische, ins Boarische, wie wir sagen. Das Weanerische ist schon eine besondere Sprachqualität, ein eigener Slang. Aber ich bin ja relativ häufig in Wien, habe etliche Jahre am Wiener Volkstheater gespielt, bin zu Dreharbeiten dort. Unser Programm, das wir nun in Fellbach vorstellen, soll bewusst nicht nur eine Zeitreise ins Fin de Siècle, in die Wende zum 20. Jahrhundert mit Stefan Zweig oder Alfred Polgar sein, sondern mit moderneren Autoren auch in die Jetztzeit führen, etwa mit Helmut Qualtinger oder Thomas Bernhard – nach dem Motto: Was erlebt oder beobachtet man im Wiener Kaffeehaus heute?

Und es geht dann um die Wiener Seele?

Genau, das wird eine bunte Mischung, vor allem mit den vielen Abgründen in Wien. Diese dauernde Ambivalenz, die Morbidität, diese Mischung aus Depression und Hybris – diesem ,wir sind die Größten, sterben aber trotzdem’. Ein Freund hat mir mal gesagt: ,Wien, das ist das Epizentrum der Entmutigung.’ Es gibt sehr viele kreative Menschen, aber auch viele Verhinderer. Dass man eine Form der Ermüdung spürt, weil so gar nichts weiter geht, und man sich über die Gründe wundert, woran es wieder scheitert. Und andererseits stört das auch wenige, denn man hat immer was zu erzählen darüber, was nicht geht oder was schrecklich ist. Und dieses Raunzen, Meckern, das Unzufriedene ist eine typische Wiener Qualität – und hat so gar nichts zu bedeuten. Denn das merke ich, wenn ich länger weg war und wieder zurückkomme: Es ist eine der Städte mit der höchsten Lebensqualität in der Welt. Dann erkennt man, welch unglaubliches Format diese Stadt hat. Es ist alles da, es gibt hervorragende Ärzte und Krankenhäuser, eine große grüne Lunge, oder dass man mit den Verkehrsbetrieben für 365 Euro im Jahr überall hinkommt, vergleichen Sie das mal mit New York, Paris oder London, die Metro ist hier was ganz anderes.

In Wien jagen Sie seit 1999 ja auch als Oberstleutnant Moritz Eisner den Ganoven hinterher. Spontan hätte ich gedacht, so lange ist der doch noch nicht dabei. Das spricht ja wohl auch für Ihre eigene Zuneigung zur Figur?

Sie haben recht, mir geht’s auch so, 23 Jahre, das ist schon enorm. Aber es ist gar nicht sooo prägend, das sind zweimal Dreharbeiten im Jahr, und dann ist man wieder weg, das fällt einem selbst nicht so auf, als wenn man 13 Episoden einer Staffel am Stück dreht. Das ist wie eine Spielwiese, was Besonderes, wie ein Schulausflug. Das macht natürlich Spaß und ist immer ein sehr großes Vergnügen, weil das ganze Team die Umsetzung erarbeitet und mitzieht.

Und die Resonanz gibt Ihnen ja recht!

Aber das versuche ich wegzudrücken, es verdirbt eher den Charakter, das hat nichts mit meiner Arbeit zu tun. Ich mach’ es so, wie ich das für richtig halte. Und es kann ja auch nicht immer alles gut werden, aber klar, es gelingt manchmal nicht so schlecht.

Nicht so schlecht – soviel also zum Thema Meckern und mangelnde Zufriedenheit über die eigene Leistung.

Aber auch so ein „Tatort“ hat doch eine hohe Vergänglichkeit, da ist es relativ unsinnig, dem größere Bedeutung beizumessen, wenn man an all das denkt, was uns doch gerade in der Welt so beschäftigt.

Dass sie sozial sehr engagiert sind, liest man immer wieder, etwa für den Verein Dunkelziffer, der sich für sexuell missbrauchte Kinder einsetzt. Und kürzlich haben Sie sogar Ihre Ziehharmonika geopfert.

Das stimmt, aber ein Opfer war’s nicht. Ich habe vor einiger Zeit zwei Ziehharmonikas geschenkt bekommen, eine mit Knöpfen und eine normale. Die standen so zehn Jahre rum, und ich hab nur ab und zu spielen können. Eine größere Kontinuität mit einmal wöchentlichem Üben an der Musikschule ist bei meinem Beruf mit der häufigen Abwesenheit und Drehs an anderen Orten meist nicht möglich. Und als dann im Dezember die Anfrage vom Verein Zeltschule kam, der im Libanon und in Syrien Schulen in Flüchtlingscamps baut, habe ich das als richtigen Zeitpunkt gesehen, diese Ziehharmonika einem sinnvolleren Nutzen zuzuführen.

Und wie erfolgreich war’s?

Das war nicht schlecht: 17 Gebote sind eingegangen, für 3500 Euro ging sie weg – und meine zweite Ziehharmonika hab ich ja dann noch, falls ich doch mal wieder mit ihr musizieren möchte.

Das Gespräch führte Dirk Herrmann.