Der Autor Heribert Schwan zitiert in einem neuen Buch Tonbänder seiner Gespräche mit Helmut Kohl – und ignoriert damit gezielt ein Gerichtsurteil.

Berlin - Wer Helmut Kohl in der politischen Arena zum Gegner hatte, der musste sich gegen die Wucht seiner Worte wappnen. Wie hart und von oben her der Altkanzler auch über jene urteilte, die er in der langen Phase seiner Macht zu seinem Gefolge machte und von denen er kindliche Dankbarkeit erwartete, das ist in dem an diesem Mittwoch erscheinenden Buch „Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle“ zu lesen, aus welchem das Magazin „Spiegel“ am Wochenende vorab ausführlich zitierte.

 

Es sind deutliche, oft persönlich verächtliche Sätze und Gemeinheiten, die widergegeben werden – über die Kanzlerin Angela Merkel, den früheren Bundesminister Norbert Blüm oder den früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten und späteren Bundespräsidenten Christian Wulff. Aber ist dieses Buch ein „historisches Vermächtnis“, wie der Verlag meint? Oder ist der Vorwurf gerechtfertigt, dass der Hauptautor vielleicht auch zur Mehrung des eigenen Ruhms einen großen Vertrauensbruch begangen hat? Darüber dürfte es in den kommenden Wochen viel Streit geben. Schon längst beschäftigen sich ohnehin Gerichte mit dem Fall.

Die Grundlage des neuen Buches sind Tonbänder von 630 Stunden dauernden Gesprächen zwischen Kohl und dem Journalisten und Historiker Heribert Schwan, den der Altkanzler vor vielen Jahren als Ghostwriter für seine Memoiren ausgesucht hatte. Die Worte, die Helmut Kohl in jenen Gesprächen gewählt hat, sind teils sehr heftig – und das mag auch an der Situation liegen, in der sie gefallen sind.

Der Tonband-Streit: Kohl siegte in zwei Gerichtsinstanzen

Die Gespräche im Bungalow in Oggersheim fanden über viele Tage in den Jahren 2001 und 2002 statt, nach Kohls Machtverlust und seinem tiefen Sturz in der CDU-Spendenaffäre – in einer Phase also, in der der Altkanzler und vom Hof gejagte Parteichef es bitter fand, wie sich die Seinen von ihm abwandten. Der Kanzler der Einheit fürchtet um die rechte Wahrnehmung seiner historischen Rolle. In den Zeitraum der Aufnahmen fällt im Juli 2001 der Freitod Hannelore Kohls. Die auf den Bändern basierenden Memoiren Kohls, an denen er aus Sicht der Gerichte vertraglich gesichert das letzte Wort als Autor hatte, erschienen seither in drei Bänden. Kohls schwerer Sturz 2008, bei dem er sich Kopfverletzungen zuzog, unterbrach die Arbeit, im März beendete Kohl dann die Kooperation abrupt. Als Schwan – der zudem ein Buch über die verstorbene Hannelore Kohl geschrieben hatte – dann vor gut zwei Jahren ankündigte, eine eigene Biografie zu schreiben, verlangte Kohl die Tonbänder zurück.

Seither wird vor Gericht gestritten. Kohl obsiegte in zwei Instanzen, zuletzt entschied das Oberlandesgericht Köln, dass die Tonbänder sein Eigentum seien und er auch die Urheberrechte habe. Schwan hatte dagegen argumentiert, nur durch ihn sei es zu den Aufzeichnungen gekommen und er habe keinen Vertrag mit Kohl, sondern mit dem Verlag. Er kündigte an, in Revision vor dem Bundesgerichtshof zu gehen.

Spielt das Geltungsbedürfnis des Autors Schwan eine Rolle?

Darf man mitten in einem solchen Streit aus journalistischen Erwägungen heraus den Inhalt solcher vertraulichen Gespräche veröffentlichen, die zwar für eine Autobiografie geführt wurden, aber nie dafür bestimmt waren, in eben diesem Duktus des unbefangenen Sprechens öffentlich zu werden? Der Autor Schwan und sein Koautor Tilman Jens haben sich gemeinsam mit dem Heyne-Verlag entschieden, die Frage mit Ja zu beantworten. An diesem Dienstag wollen sie auf einer Pressekonferenz ihr Werk vorstellen. Der Verlag begann bereits am Montag damit, das Buch auszuliefern. Es liege bisher keine Unterlassungsaufforderung vor, sagte eine Verlagssprecherin. Nach einem Bericht des „Focus“ hat Kohl seine Anwälte beauftragt, die Veröffentlichung des Buches zu verhindern. Eine Bestätigung gibt es dafür bisher nicht.

Geht es wirklich um ein historisches Vermächtnis, das hier gesichert werden muss? Es könnte sein, dass neben dem Rechtsempfinden auch das verletzte Geltungsbedürfnis des Autors Schwan ein Grund dafür ist, dass Kohls ungeschliffene Sätze aus Zwiegesprächen nun öffentlich werden. Ein Interview, das Schwan vor dem Urteil des Oberlandesgerichts dem „Deutschlandfunk“ gab, legt eine langjährige Eifersüchtelei zwischen Schwan und Kohls zweiter Ehefrau Maike Kohl-Richter nahe. Sie habe eine Zeit lang versucht, sich in die Deutung einzumischen, erklärt Schwan. Dem habe er ein Ende gemacht. Nach Kohls Sturz sei dann für Maike Kohl-Richter die Gelegenheit gekommen, ihn aus dem Projekt zu drängen. Schwan beschuldigte in dem Interview Kohl-Richter, sie wolle allein „die Deutungshoheit für sich haben“ und verhindere etliche Veröffentlichungen über den Altkanzler.