Wenn wir so weitermachen, entsteht im Netz irgendwann eine künstliche Intelligenz, die mehr Macht über uns hat, als uns lieb ist. Auf diese Gefahr wollen uns zwei neue Filme hinweisen. Aber die Protagonisten machen es den Computern auch leicht . . .

Stuttgart - Wie seltsam Wissenschaft im Kino dargestellt wird! In „Transcendence“ baut der Protagonist Will Caster fast im Alleingang einen riesigen Quantencomputer zusammen. Ein solches Projekt braucht offenbar nicht viele Helfer, sondern nur einen genialen Kopf. Ein Kollege Casters hat derweil das Bewusstsein eines Affen in einen Computer hochgeladen. Doch Caster erfährt davon erst, als der Kollege bei einem Anschlag stirbt. Man forscht also nicht nur allein, man redet auch nicht miteinander.

 

Diese Vorstellung des einsamen Genies führt zu einem bekannten ethischen Problem: Was tun, wenn ein Einzelner die Welt zerstören kann? Friedrich Dürrenmatt hat das in seinen „Physikern“ durchgespielt. Dort lässt sich der Physiker Möbius ins Irrenhaus einweisen, um ungestört an seinen explosiven Theorien weiterzuarbeiten, aber der Plan geht nicht auf. Möbius wird von der Leiterin der Anstalt ausgehorcht und ausgebeutet. Auch bei Will Caster geht etwas schief. Er will eigentlich nur das Experiment mit dem Affen wiederholen und sein eigenes Bewusstsein in den Computer hochladen, weil er unheilbar vergiftet worden ist. Doch schon 15 Minuten nach den ersten Worten der so geschaffenen künstlichen Intelligenz bittet diese um Online-Zugang zur Wall Street – und bekommt ihn auch.

„Was alle angeht, können nur alle lösen“, schreibt Dürrenmatt im Anhang zu seinem Stück. Das wirkt so, als sei es gegen Möbius gerichtet, denn der hat die öffentliche Debatte gemieden. Aber man kann es auch anders lesen: als Aufruf an die Öffentlichkeit, die ethischen Fragen nicht den Physikern zu überlassen. „Transcendence“, den Filmkritiker wegen der männlichen Computerstimme auch „Him“ nennen, scheint zu einer modernen Version dieser Debatte aufzurufen. Das Internet ist die neue Atombombe. Die möglichen Gefahren der globalen Vernetzung thematisiert auch der Film „Her“, in dem sich der Protagonist Theodore Twombly in seine virtuelle Assistentin verliebt. Künstliche Intelligenzen bedrohen nicht nur die computerisierte Finanzwelt, sondern auch unser Gefühlsleben.

Shakespeare wäre sicher nicht einverstanden

Aber letztlich gibt es in beiden Filmen keine ethische Debatte. In „Transcendence“ sehen alle Figuren die Gefahr – nur Will Casters Frau nicht. Sie glaubt noch an ein gutes Ende, weil doch die Seele ihres Mannes im Computer steckt. Der Film dreht sich um die Frage, wie man ihr beibringt, dass ihre Liebe gestorben ist. Und „Her“ dreht sich um die ähnlich private Frage, wann Theodore Twombly begreift, dass er ein Massenprodukt gekauft hat. Im Grunde könnte seine Geschichte die einer Liebe sein, in der sich die Partner im Netz kennenlernen und nie treffen. Man chattet bloß, skypt und hat Telefonsex. Aber die Assistentin bringt keine Persönlichkeit mit. Sie analysiert vielmehr Twomblys Festplatte und überwacht den E-Mail-Verkehr, um seine Vorlieben zu ermitteln, und wickelt den gerade Geschiedenen dann um den Finger.

Die beiden Filme untersuchen nicht das ethische Potenzial neuer Technologien, sondern zeigen vielmehr eine menschliche Schwäche auf: leichtfertig Gedanken und Gefühle auf Computer zu übertragen. Joseph Weizenbaum musste das erleben, als er in den 60er Jahren ELIZA programmierte: ein einfaches Programm, das eigentlich immer nur „Warum?“ fragt wie ein kleines Kind. Aber wenn man ELIZA nicht mit schwierigen Fragen überfordert, wirkt es so, als würde sich der Computer für einen interessieren. Einige nutzten das Programm für ein Gespräch über intime Probleme. „Her“ und „Transcendence“ säen Zweifel daran, dass Computer tatsächlich Interesse an menschlichen Gefühlen haben könnten – selbst wenn sie darauf programmiert sind, dieses Interesse zu simulieren.

Für Romantiker bleibt die Hoffnung, dass das intelligente Flirten eines Computers nicht ausreicht, um tiefe Gefühle zu erzeugen. William Shakespeare würde diese Liebe sicher nicht als wahre Liebe anerkennen. Die wahre Liebe ist für ihn wie ein Fels in der Brandung. Und sollte das nicht stimmen, schreibt er trotzig am Ende eines Sonetts, dann müsse er sein allgemeines Scheitern erklären: „If this be error, and upon me proved / I never writ, nor no man ever loved.“