In „Herakles Kinder“ im Nord stehen auch Migranten auf der Bühne und versuchen sich in der deutschen Sprache – als wolle Armin Petras ihnen Leitkultur beibringen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Man sollte den umgekehrten Fall einfach mal im Geist durchspielen. Angenommen, einen Stuttgarter verschlägt es nach Mali. Eines der traditionsreichen Theaterensembles würde sich des Fremden annehmen – und er dürfte zum Beispiel in einer Bühnenadaption der berühmten Manuskripte von Timbuktu einen echten Europäer spielen.

 

Wenn er genug geübt hätte und sich wirklich anstrengt, dürfte unser Stuttgarter sogar ein paar Sätze auf Nilosaharanisch aufsagen. Danach würde er noch ein deutsches Lied vorsingen, bevor die professionellen Schauspieler wieder das Zepter übernehmen und dem Stuttgarter zeigen, wie „richtiges“ Theater auszusehen hat.

Keine Patentlösung

Keine Frage: weder die Gesellschaft noch der Kulturbetrieb haben derzeit Patentlösungen zur Hand, wie Integration gelingen könnte. Das Schauspiel Stuttgart und sein Intendant Armin Petras haben trotzdem versucht, eine schnelle Antwort auf diese Frage zu finden – und im Nord „Herakles Kinder“ nach Euripides herausgebracht. Dabei wurde der Amateur-Chor mit Studenten der Universität Stuttgart und mit Geflüchteten besetzt.

Aber selbst wenn sich alle Beteiligten redlich mühen, die Klippen der deutschen Artikulation zu meistern und vermutlich manche Stunde Sprecherziehung absolviert haben, ist es ein absurdes Unterfangen: Denn die Amateure müssen sich nicht nur mit professionellen Schauspielern messen (gegen die sie nicht den Hauch einer Chance haben). Sondern sie sollen als Fremdsprachler auch deutsche Bühnenhochsprache präsentieren. Das kann nur schief gehen.

Schon 2005 hat Armin Petras seine Textfassung zu „Herakles Kinder“ erstellt, er spannt dabei einen Bogen von der griechischen Antike bis in die Gegenwart, von Euripides bis Neudeutsch und von Göttern bis zu Fernsehteams. Erzählt wird die Geschichte von den Kindern des Herakles, die nach langer Wanderschaft Zuflucht in Athen finden. „Wir kennen nichts außer Hunger“, klagen sie, „uns bleibt nur Beten“ – und der Chor, eingehüllt in gold-glänzende Rettungsfolie, kauert beisammen, reckt die Hände gen Himmel und spricht das „Vater unser“ in verschiedenen Sprachen.

Aktuelle Flüchtlingsdebatte

Die Intention ist klar: Euripides soll die Folie liefern für die aktuelle Flüchtlingsdebatte. In der antiken Sage ist es Eurystheus, der fordert, die Gestrandeten auszuliefern, damit dieser „Müll im Wind“ in der Heimat die verdiente Strafe erhält. Da Athen den Geflüchteten aber Aufenthalt gewährt, zettelt Eurystheus einen Krieg an, was Demophon (Manolo Bertling), dem Sohn des Königs von Athen, letztlich recht ist: „Jetzt bin ich ein Mann“, sagt er blutverschmiert und zufrieden, „vorher war ich ein Angeber.“

Eindrucksvoll spielt Elmar Roloff den Anführer der Vertriebenen und Geflüchteten und berichtet als ihr Fürsprecher „Wir haben keine Heimat mehr. Man schickt uns immer weiter“. Matti Krause spielt mit Furor den Eurystheus, zynisch und herzlos, gewaltbereit und selbstgerecht. Aber auch wenn die Schauspieler überzeugen und der Regisseur Armin Petras kleine, amüsante Details inszeniert hat, ist der pädagogische Impetus sehr deutlich – „Herakles Kinder“ wiederholt nur, was sich aktuell ereignet: Menschen suchen Zuflucht, die manche ihnen nicht gewähren wollen, aber sollen.

Hochmut und Ignoranz

In einer Stunde wird das Stück ordentlich heruntergespielt, und die Laien werden, unabhängig von ihrer Herkunft, sicher stolz auf ihren Auftritt im Schauspiel Stuttgart sein. Vor allem die Iranerin Kimia Mokari, die ein kleines Solo hat, macht ihre Sache gut. Und doch spricht aus dieser Produktion viel Hochmut und Ignoranz.

Denn den Fremden wird nicht etwa auf Augenhöhe begegnet, ihre jeweiligen Qualitäten und Talente werden auch nicht berücksichtigen, letztlich wird Leitkultur exerziert. Selbst wenn der Kulturbetrieb keine Patentrezepte haben mag, wie gelungene Integration funktionieren könnte, so gibt es sehr wohl theoretische wie auch ästhetische Konzepte zur Kulturarbeit mit Laien und Migranten. Von einem Staatstheater würde man schon erwarten, dass es sich zumindest im Ansatz damit befasst.