Zum zweiten Mal ist der Stuttgarter Gynäkologe Karl Heinz Pfeiffer in Sierra Leone für die German Doctors im Einsatz gewesen. Er hat dort unter Bedingungen gearbeitet, die in Deutschland undenkbar wären. Er hat Säuglinge in Steißlage und per Notkaiserschnitt lebend auf die Welt gebracht, aber auch Menschen sterben sehen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Serabu/Stuttgart - Dass eine schwerkranke oder hochschwangere Patientin mit dem Motorroller über die Schotterpisten ins Krankenhaus von Serabu gebracht wird, ist dort Alltag. Doch diese Szene wird Karl Heinz Pfeiffer so schnell nicht vergessen: Eine Frau sitzt hinter einem Mann auf dem Gefährt, in den Armen ein Neugeborenes. Als sie vom Roller gehoben wird, sieht der Gynäkologe einen Babyarm zwischen ihren Beinen – eine Zwillingsgeburt. „Die waren so stundenlang durch den Dschungel gefahren“, erzählt er, immer noch fassungslos. Für den zweiten Zwilling kam jede Hilfe zu spät. Er hatte quer gelegen und kam nicht durch den Geburtskanal. Aber die Frau konnte er retten. „Ich habe in Serabu Dinge gesehen und bewältigen müssen, die kannte ich höchstens als Fußnote aus dem Lehrbuch“, sagt der 70-jährige Stuttgarter über seinen Einsatz in Sierra Leone in diesem August.

 

Es ist bereits das zweite Mal, dass Pfeiffer für die Hilfsorganisation German Doctors in der 125-Betten-Klinik mitten im westafrikanischen Dschungel gearbeitet hat: 2014 war er – zu Beginn der Ebolaepidemie – für sechs Wochen vor Ort gewesen, diesmal dauerte sein Einsatz dreieinhalb Wochen. Und mindestens genauso lang hat es gedauert, sich hiervon wieder zu erholen. So krank und ausgemergelt ist der Gynäkologe zurückgekehrt, dass seine Frau einen Schreck bekam. Das Essen ist ihm in Serabu nicht bekommen, hinzu kam eine starke Bronchitis. Während der Regenzeit sei die Bekleidung ständig feucht gewesen, in seiner Unterkunft war großflächig Schimmel. Auch was die Bedingungen angeht, ist der Arzt an die Grenzen gegangen. Wobei er diesmal besser vorbereitet war als bei seinem ersten Einsatz. „Ich wusste, was mich erwartet“, sagt Pfeiffer. Und so hat er diesmal ganz selbstverständlich die Stirnlampe aufgesetzt, wenn er sich auf den Weg in den OP-Saal gemacht hat. Zwar gibt es in dem Krankenhaus, in dessen Versorgungsgebiet 50 000 Menschen leben, inzwischen Strom, aber die Beleuchtung im OP sei viel zu dunkel. Für die Bevölkerung ist die Klinik alternativlos. „Entweder es wird ihnen hier geholfen oder nirgendwo“, so Pfeiffer.

Nur wer Probleme hat, sucht die Klinik mitten im Dschungel auf

Eine deutsche Ärztin der German Doctors ist in Serabu dauerhaft und auch fest angestellt, die übrigen Europäer sind Freiwillige wie Pfeiffer. Ihre Aufgabe ist es auch, Einheimische medizinisch als Basisärzte zu schulen, damit sie irgendwann die Verantwortung übernehmen können. Seine große Erfahrung habe ihm in Westafrika viel geholfen, sagt der Stuttgarter, der auf fast 40 Jahre ärztlicher Tätigkeit zurückblickt: Er war Oberarzt und Chefarzt an Kliniken in Tübingen und Bayern, niedergelassener Gynäkologe und Belegarzt der Klinik Charlottenhaus in Stuttgart. Mit „normalen“ Geburten wie im Charlottenhaus hatte er es in Serabu nicht zu tun. Nur wer Probleme hat, sucht dort die Klinik auf.

Eine der vielen Herausforderungen des Alltags: Einerseits bleibt oft nur noch der Kaiserschnitt, andererseits gibt es große Probleme mit der Wundheilung. Bei der Hälfte der Frauen entzünde sich die Wunde, berichtet Pfeiffer. Als erfahrener Gynäkologe habe er auch Geburten in Beckenendlage meistern können, wenn sich die Babys also nicht gedreht hatten. Er kam diesmal auf eine Kaiserschnittquote von nur 20 Prozent, die Vorgängerin hatte 70 Prozent. 25 Geburten hat er insgesamt in den dreieinhalb Wochen betreut, 23 Frauen hat er operiert, die jüngste Schwangere, die zu ihm kam, war erst 14 Jahre alt. Er hat eine aidskranke Schwangere sterben sehen – und ein Frühchen, das nur 900 Gramm wog, auf die Welt gebracht. In Deutschland ist das kein Problem, in Serabu schon. Es gibt nur einen Inkubator. Der Platz war frei, das Frühchen hat bis zu Pfeiffers Abflug nach Deutschland noch gelebt. Leben und Sterben, das hat in diesen Wochen zu jedem Tag dazu gehört.

Auch für das Internationale Rote Kreuz im Einsatz

Als er im Jahr 2013 seine Praxis übergeben hat, ist Pfeiffer, der drei erwachsene Kinder hat, ins Grübeln gekommen. Sollte das schon alles gewesen sein? Wofür war er eigentlich Arzt geworden? Er stieß auf die German Doctors, registrierte sich zudem bei Ärzte ohne Grenzen und beim Internationalen Roten Kreuz. Bei Ärzte ohne Grenzen habe man ihm gesagt, dass er leider als Gynäkologe das falsche Geschlecht habe. Die meisten Kriseneinsätze sind momentan in Gebieten, wo männliche Gynäkologen nicht akzeptiert würden. Fürs Internationale Rote Kreuz war er 2015 an der österreichischen Grenze in einem Flüchtlingslager im Einsatz – es dürfte nicht sein letzter für die Organisation gewesen sein. Sollte demnächst irgendwo die Erde beben, rechnet er mit einem Anruf. Bereit ist er.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgarter-arzt-in-ebola-gebiet-ein-einsatz-bis-an-die-seelischen-grenzen.c404816d-1468-4970-8d96-ecdd776f8d8d.html