Die deutschen Hockeyfrauen wollen sich bei der Heim-EM ab diesem Freitag nicht durch äußeren Druck verunsichern lassen – sondern einfach sie selbst sein. Warum, erklärt Co-Kapitänin Nike Lorenz.

Zweimal hat Nike Lorenz bisher an Olympischen Spielen teilgenommen – mit sehr unterschiedlichem Erfolg: 2016 in Rio gewann sie mit den deutschen Hockeyfrauen Bronze. Bei den Tokio-Spielen vor zwei Jahren strandete die DHB-Auswahl dagegen bereits im Viertelfinale. Bei der Heim-EM in Mönchengladbach bietet sich die Chance, zumindest mal die Eintrittskarte für die Fünf-Ringe-Ausgabe im kommenden Sommer in Paris zu ergattern. Ein Szenario, über das Lorenz im Gespräch mit unserer Redaktion lässig sagt: „Die mögliche Olympiaquali ist nice to have.“

 

Olympiaticket ist nicht das Ziel

Die charmante Zurückhaltung der gebürtigen Berlinerin ist nachvollziehbar: Zum einen gibt es das Direktticket in die französische Metropole nur für Platz eins – und auch für Deutschlands Kapitänin sind die Niederlande als „bestes Team der Welt“ der Topfavorit. Zudem sei der lockende Durchfahrtschein an die Seine schlicht kein Ziel, das sich das Team stecke.

Schließlich findet die EM, in die das DHB-Team an diesem Freitag um 19.30 Uhr gegen Schottland startet, im eigenen Land statt. „Der Fokus“, erklärt Lorenz deshalb, „liegt für uns ganz klar auf dem Turnier selbst.“ Etwas Hockeyfaszination zu verbreiten und dabei vor allem die jüngere Generation zu inspirieren, darum gehe es ihnen in starkem Maße. „Und auf dem Platz“, ergänzt Lorenz, „wollen wir einfach in jedem Spiel den Ball jagen, den Gegner jagen. Und dann gucken wir, wo wir am Ende stehen.“

Diese entspannte Haltung passt gut zum Grundgefühl, das die DHB-Frauen unter Bundestrainer Valentin Altenburg entwickelt haben. Der gebürtige Hamburger, seit Januar 2022 im Amt und einst auch für den HTC Stuttgarter Kickers als Co-Trainer aktiv, propagiert einen „humanen Leistungssport“, fördert innerhalb des Teams eine ausgeprägte Streitkultur und vermeidet es, Entscheidungen auf Basis vorgegebener Hierarchien zu treffen. Bei der Mannschaft kommt das gut an. „Vorher wurde sehr stark das Kollektiv betont – und wenig Rücksicht auf Einzelne genommen. Jetzt ist das anders, da wird mehr auf Individualität geschaut“, erzählt die 26-jährige Lorenz.

Individualisierung als Fortschritt

So macht die eine Nationalspielerin beispielsweise dreimal in der Woche Krafttraining, die andere einmal Krafttraining und zweimal Yoga. Und auf Lehrgängen kommen nun auch private Sorgen und Nöte stärker zur Sprache. „Vorher gab es dafür nicht so viel Platz. Da war vielleicht auch unser eigener Anspruch immer, uns sehr auf den Sport zu konzentrieren. Aber solche Dinge rauslassen zu können – genau dafür wollen wir einen sehr offenen Raum schaffen. Weil wir fest daran glauben, dass wir auf diese Weise die besten Hockeyspielerinnen auf dem Platz sein können“, betont Lorenz.

Weit entfernt von diesem „ganz großen Ziel“ war die Spielerin von Rot-Weiss Köln, die freiberuflich für eine Unternehmensberatung mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit arbeitet, mit ihren Teamkolleginnen bei Olympia in Tokio. In Japan hatte sie durchgesetzt, mit Regenbogenbinde auflaufen zu dürfen. Das klare Viertelfinal-Aus gegen Argentinien (0:3) und die geringe Wertschätzung bei der Rückkehr nach Deutschland machten ihr aber gewaltig zu schaffen. „Da hat man gerade sein ganzes Leben darauf ausgelegt, bei Olympia erfolgreich zu sein“, rekapituliert Lorenz. „Und dann war es ein bisschen so, als wäre man gerade von einer Hobbysportreise nach Hause gekommen, und der Chef sagt: ‚Es wäre cool, wenn du morgen wieder arbeiten könntest.‘“

Studium als persönlicher Schutzraum

Bei ihrem Master in BWL in Nottingham fand sie danach einen persönlichen Schutzraum – und die Freude am Hockey wieder. Platz vier und die knapp verpasste erste WM-Medaille seit 24 Jahren bedeuteten für Altenburgs Individualistinnen im letzten Sommer dann die Rückkehr in die Weltspitze. „Im Vergleich zu Olympia war das Gefühl definitiv ein ganz anderes. Auch, weil die Erwartungen besser gesteuert wurden“, erinnert sich Lorenz. Und die konsequente interne Vorgabe für die anstehende Heim-EM lautet daher nun: „Ein wirkliches Ergebnisziel haben wir nicht.“