Heidenheim/Stuttgart - 2007/08 belegten Werder Bremen, Schalke 04 und der HSV die Plätze zwei bis vier in der Fußball-Bundesliga. Der 1. FC Heidenheim spielte damals in der Oberliga. In der neuen Saison freut sich das Team von der Ostalb auf die Zweitliga-Duelle mit diesen Traditionsclubs. Der Vorstandsvorsitzende Holger Sanwald (53) spricht über die Gründe, warum es dazu kommen konnte und den Spannungsvorteil gegenüber der Bundesliga.
Herr Sanwald, ist die abgelaufene Saison aufgearbeitet?
Ein paar Tage wird das noch dauern. Die Zeit nehmen wir uns, um auch etwas in die Tiefe zu gehen.
Im Vorjahr hatten Sie die Saison schneller abgehakt.
Ganz bewusst. Zum einen wollten wir unserer Enttäuschung nach dem hauchdünn verpassten Aufstieg im Relegations-Highlight gegen Werder Bremen keinen Raum lassen, zum anderen mussten wir uns sofort um die verschiedenen Baustellen im Kader kümmern, weil wir viele wichtige Spieler nicht halten konnten. Diesmal steht der Kader zu 80 bis 90 Prozent, das ist ein Riesenunterschied.
Welche Haupterkenntnis nehmen Sie aus der vergangenen Runde mit?
Dass wir diesen gewaltigen personellen Umbruch, mit dem Verlust von gleich mehreren wichtigen Leistungsträgern, wirklich gut gemeistert haben. Wir kamen schwer rein in die Saison, flogen in der ersten Runde in Wiesbaden aus dem DFB-Pokal und drohten in der Liga den Anschluss ans Mittelfeld zu verlieren. Doch unser Team hat sich dann toll gefunden, sich zeitweise gegen Spitzenmannschaften in eine Art Rausch gespielt. Mit ein bisschen Fantasie war zwischenzeitlich sogar Platz drei in Reichweite.
Am Schluss geht die Luft aus
Am Ende wurde es Platz acht.
Was mich schon ärgert. In den letzten fünf Spielen setzte es vier Niederlagen. Wir wären gerne Sechster geworden, aber letztendlich sind wir mit der Saison zufrieden, wir haben junge Spieler integriert und ein gutes Fundament gelegt. Am Schluss ist uns leider die Luft ausgegangen, was wir aber auch nicht überbewerten dürfen.
Im neuen Team wird Marc Schnatterer als Identifikationsfigur und Typ fehlen wird. Wie wollen Sie ihn ersetzen?
Marc steht für Identifikation, Marc steht wie kein Spieler vor ihm für den FCH. Das hat sich Schritt für Schritt so entwickelt. Ihn kann man nicht von heute auf morgen ersetzen. Ich glaube beim VfB Stuttgart gab es nach Jürgen Klinsmann auch keinen zweiten Jürgen Klinsmann mehr. Einem einzelnen Spieler kann man diese Bürde nicht zumuten, dies würde diesen viel zu sehr belasten. Unsere Führungsspieler wie beispielsweise Patrick Mainka, Norman Theuerkauf, Kevin Müller, Oliver Hüsing und Konstantin Kerschbaumer müssen versuchen, im Kollektiv in Marcs Fußstapfen zu treten und die Mannschaft führen.
Ihr Top-Torjäger Tim Kleindienst ist vom belgischen Topclub KAA Gent bis 30. Juni ausgeliehen. Können Sie ihn in Heidenheim dauerhaft halten?
Das ist das Ziel, die Gespräche laufen. Wir werden uns strecken, aber keine finanziellen Risiken eingehen. Wir wollen sportlichen Erfolg, aber nur, wenn wir ihn uns auch leisten können.
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Wie lautet die Zielsetzung für die neue Saison?
In erster Linie lautet das Ziel, auch in unserem achten Jahr in Folge in der zweiten Liga eine sorgenfreie Saison zu spielen. Alles andere würde eine völlig falsche Erwartungshaltung erzeugen. Man muss doch nur schauen, gegen wen wir spielen werden.
Werder Bremen, Schalke 04…
… HSV. Diese drei Mannschaften belegten in der Bundesligasaison 2007/08 hinter Meister FC Bayern München die Plätze zwei, drei und vier. Wir spielten damals in der Oberliga. Das ist unglaublich und zeigt, vor welcher Herausforderung wir in dieser super attraktiven zweiten Liga stehen. Die Hälfte der Mannschaften muss gefühlt aufsteigen, zwei oder drei können es aber nur schaffen. Da weiß man, was das für den Rest bedeutet. Wir müssen hellwach sein und als erstes unsere Hausaufgaben machen.
Warum steigen immer mehr Traditionsclubs ab?
Weil sich viele andere Vereine unheimlich gut entwickeln entwickelt haben. Zum Beispiel sind der SC Freiburg und die TSG Hoffenheim mittlerweile feste Bestandteile der Bundesliga, Union Berlin geht in sein drittes Bundesligajahr. RB Leipzig hatte vor zehn Jahren noch keiner auf der Rechnung. Wenn viele Vereine gute Arbeit machen, ist es logisch, dass zwangsläufig andere absteigen müssen.
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Warum trifft es gerade die Traditionsvereine?
Mitunter lässt es sich dort schwerer arbeiten, sehr viele Leute in den unterschiedlichsten Gremien wollen mitreden, die Erwartungshaltung im Umfeld des Vereins, bedingt durch die großen Erfolge in der Vergangenheit, ist noch größer. Das ist schwer unter einen Hut zu bringen. Viele gehen dann noch wirtschaftliche Risiken ein. Wenn die Ziele, wie zum Beispiel die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb nicht erreicht werden, stehst du dann noch mehr unter Druck. Das sorgt für Fehler, hohe Fluktuation und fehlende Kontinuität. Das ist ein Teufelskreis.
Wird sich der Trend fortsetzen?
Schwer zu sagen. Ich bin gespannt. Wer vor der vergangenen Runde gewettet hätte, dass der VfL Bochum und die SpVgg Greuther Fürth aufsteigen, Holstein Kiel die Relegation erreicht, der wäre reich geworden. Ich finde es herrlich, wenn eine solch brutale Spannung herrscht. In der Bundesliga weiß jeder, dass Bayern aller Wahrscheinlichkeit nach zum zehnten Mal in Folge Meister wird. In der zweiten Liga kann alles möglich sein.
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Ihr Trainer Frank Schmidt bezeichnete die Relegationsspiele gegen Werder als Lebenschance, in die Bundesliga aufzusteigen. Kommt sie ein zweites Mal?
Ich weiß nicht, ob mit Blick auf die vielen Traditionsvereine noch einmal die Chance kommen wird. Das wird die Zeit zeigen. Aber das ist nicht mein Antrieb, mein Antrieb ist, dass der FCH ein stabiler, erfolgreicher und wirtschaftlich gesunder Verein bleibt, das motiviert mich Tag für Tag – und dafür arbeiten wir beim FCH. Wir gehen in unser achtes Zweitligajahr. Wenn wir noch zehn Jahre in der zweiten Liga spielen, wäre ich sehr zufrieden, weil ich weiß, welche Herausforderung damit verbunden ist.