Hungertote wegen des Ukraine-Kriegs Wie Afrika unter dem Krieg leidet

Der Krieg hat mehr als 30 Millionen Afrikaner in den Hunger getrieben – zusätzlich zu den 300 Millionen, die schon vorher nicht genug zu essen hatten. Foto: dpa/D. Jianghui

Die ersten Schiffe mit Getreide aus der Ukraine sind zwar unterwegs, doch für Afrika sind sie vorerst nicht vorgesehen. Dort sterben noch mehr Menschen an Hunger als sonst. Und politisch tobt eine Propagandaschlacht wie im Kalten Krieg.

Die meisten Toten wird der Ukraine-Krieg vermutlich nicht auf den Schlachtfeldern des Donbass oder in den mit Raketen beschossenen Städten des osteuropäischen Landes fordern, sondern Tausende von Kilometern weit entfernt in Afrika. Während in der Kriegsregion bislang rund 100 000 Soldaten und Zivilisten ums Leben kamen, könnte die Zahl der Todesopfer in Afrika bald in die Millionen gehen. Nach Angaben des Welternährungswerks der Vereinten Nationen (WFP) hat Wladimir Putins Krieg bereits mehr als 30 Millionen Afrikaner zusätzlich in den Hunger getrieben – über die rund 300 Millionen hinaus, die schon vor dem Krieg nicht genug zu essen hatten.

 

Die Essensrationen werden schon halbiert

In Somalia sterben schon heute Menschen, die ohne den Krieg in der Ukraine nicht hätten sterben müssen. Zwar war es eine hartnäckige Dürre, die die Hungersnot auslöste: Doch einer ähnlichen Krise vor fünf Jahren wussten die internationalen Hilfsorganisationen besser zu begegnen. Damals reagierten die Gebernationen einigermaßen schnell und angemessen, heute sind deren Regierungen mit anderem beschäftigt. Das WFP musste seine im ostafrikanischen Katastrophengebiet verteilten Rationen bereits halbieren: „Wir nehmen unsere Hilfe den Hungernden weg, um sie den Verhungernden geben zu können“, klagt WFP-Chef David Beasley.

Die Waffenhilfe für die Ukraine geht auf Kosten der Hungerhilfe

Nicht zuletzt wegen seiner kostspieligen Waffenhilfe für die Ukraine meint sich der Westen die Hungerhilfe nicht leisten zu können. Von den 1,5 Milliarden Dollar, die der Staatenbund für sein Engagement in Somalia veranschlagt hat, ist bislang weniger als ein Drittel eingegangen. Ein Hoffnungsschimmer könnte die Einigung der Kriegsgegner auf ein Ende der russischen Blockade der ukrainischen Getreideexporte sein. Aber selbst wenn das Getreide irgendwann den Weg nach Afrika finden sollten, wäre der vom Ukraine-Krieg angerichtete Schaden nur teilweise behoben. Die nach Putins Invasion weltweit in die Höhe geschossenen Nahrungsmittelpreise werden wohl nie wieder auf einstiges Niveau fallen: Sie liegen um bis zu 50 Prozent über den Vorkriegswerten.

Weil Afrika jährlich Agrarprodukte im Wert von 80 Milliarden Dollar importiert – davon fast die Hälfte aus Russland und der Ukraine –, wirkt sich die Preisexplosion in den Staaten des Kontinents verhängnisvoll aus: Die Inflation, die in Europa ungemütlich ist, wird in Afrika lebensgefährlich. Schon werden Hungeraufstände wie zu Zeiten des Arabischen Frühlings befürchtet.

Vom Russlandboykott sind Nahrungsmittel ausdrücklich ausgenommen

Weniger zögerlich als der Kampf gegen den Hunger wird auf dem Kontinent die Propagandaschlacht der am Ukraine-Krieg direkt oder indirekt beteiligten Mächte geführt. Nachdem schon führende westliche Politiker wie Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Antony Blinken den Kontinent durchkreuzten, machte sich jüngst auch der russische Außenminister Sergej Lawrow auf den Weg. Sein Mantra, das er in Kairo, Brazzaville, in Kampala und Addis Abeba wiederholte: Der Versorgungsengpass war nicht Moskaus Blockade der ukrainischen Häfen, sondern den westlichen Sanktionen gegen Russland zuzuschreiben. Dabei leidet Lawrows Lesart unter Widersprüchen: Denn vom Russlandboykott sind Nahrungsmittel ausdrücklich ausgenommen – und warum verhandelte Moskau über eine Lockerung der ukrainischen Hafenblockade, wenn diese mit dem Versorgungsengpass gar nichts zu tun haben sollte?

Im Gegenzug wirft der Westen Putin den Einsatz von Nahrungsmitteln als Kriegswaffe vor. Russlands Präsident erzeuge absichtlich Hunger, um Europa und die USA zur Beendigung der Sanktionen zu zwingen, heißt es. Welcher Deutung sich die Afrikaner anschließen, hängt in erster Linie von ihrer Nähe zur Macht ab: Während sich Autokraten wie Ugandas Dauerherrscher Yoweri Museveni stramm hinter den Kremlchef stellen, kommt dessen Herausforderer Bobi Wine zu ganz anderen Schlüssen. „Die autoritären Herrscher unseres Kontinents mögen das russische Oligarchenmodell, weil es der Bereicherung einer Elite dient, während die Bevölkerung hungert“, schrieb der oppositionelle Musiker zum Besuch Lawrows.

Die nicht erschlossenen Gasfelder könnten Europa helfen

Russland bestreitet weniger als ein Prozent der in Afrika von außerhalb des Kontinents getätigten Investitionen. Außer Kameraderierhetorik, blutrünstigen Söldnertruppen und billigen Waffen hat Afrika von Putins sterbendem Reich nichts zu erwarten. Bei den zu erwartenden Zusammenstößen zwischen einer verzweifelten Bevölkerung und aufgerüsteten Sicherheitsapparaten könnte sich Moskaus Bruderhilfe sogar verheerend auswirken. Präsidenten, die sich hinter Russland stellen, spielten mit der Zukunft ihres Landes, meint Joseph Siegle, Direktor des Washingtoner Afrika Zentrums für strategische Studien: Sie müssten damit rechnen, künftig links liegen gelassen zu werden.

Wirtschaftlich kommt Afrika immer mehr Bedeutung zu

Denn Afrika könnte aus dem Krieg in Europa Gewinn ziehen. Nicht nur, dass das Tauziehen um politische Unterstützung die Bedeutung der 54 Staaten aufgewertet hat: Auch wirtschaftlich kommt dem Erdteil zunehmend Bedeutung zu. Abgesehen von den noch nicht erschlossenen Erdgasfeldern des Kontinents, die Europas Abhängigkeit von Russland mindern sollen, könnte sich Afrika zum Tophersteller grünen Wasserstoffs mausern. Mitte des Jahrhunderts wird zudem die Hälfte der Erdbevölkerung in Afrika leben: Da kann es sich keine Regierung mehr leisten, den Kontinent als Nebensache zu behandeln. Der Schatten, den der Ukraine-Krieg auf Afrika wirft, mag überwältigend sein. Daneben könnte aber etwas Licht zum Vorschein kommen.

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