In Hamburg werden derzeit Covid-Patienten aus Südosteuropa versorgt – in Stuttgart ist dies unmöglich. Denn die Krankenhäuser in der Region kommen – schneller als erwartet – an ihre Kapazitätsgrenze.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Stuttgart - Die Meldung hatte aufhorchen lassen. Um dem von der Coronapandemie schwer betroffenen südosteuropäischen Land zu helfen, hatte Hamburg noch in der vergangenen Woche sechs schwer erkrankte Coronapatientinnen und -patienten aus Rumänien einfliegen lassen und auf Krankenhaus-Standorte in Hamburg, Kiel und Lübeck verteilt. Weitere ähnliche Flüge in andere deutsche Städte seien geplant.

 

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Baden-Württemberg wird sich aber nicht an dieser Hilfsaktion beteiligen können. Das hat am Montag der Sprecher des Sozialministeriums, Pascal Murmann, deutlich gemacht. Zwar habe es bei früheren Wellen einzelne Hilfsaktionen für Patienten aus dem Elsass gegeben. Murmann: „Momentan müssen wir aber unsere eigenen Kapazitäten im Auge behalten.“ Und die seien bereits jetzt in etlichen Regionen erschöpft.

Die Alarmstufe rückt immer näher

Am Montag zählte das Land 342 Intensivpatienten. Damit ist zwar bei Weitem noch nicht der Höhepunkt der dritten Welle erreicht, als rund 620 Intensivpatienten versorgt werden mussten. Murmann: „Aber zum einen wollen wir unbedingt verhindern, dass es wieder so schlimm wird.“ Zum anderen rücke die Alarmstufe, die bei 390 Intensivpatienten ausgerufen werden müsse, in immer greifbarere Nähe.

Dass sich die Situation in den vergangenen Tagen dramatisch zugespitzt hat, bestätigen zahlreiche Krankenhäuser, auch die Rems-Murr-Kliniken, die Filderklinik, das Klinikum Esslingen oder die Göppinger Alb-Fils-Kliniken. „Besorgniserregend ist derzeit insbesondere die Entwicklung auf den Covid-Normalstationen“, sagt Jan Steffen Jürgensen, der Medizinische Vorstand des Klinikums der Stadt. Hier habe sich die Zahl der stationär versorgten Patienten von 16 Anfang des Monats auf 34 mehr als verdoppelt. Auf der Intensivstation liegen derzeit zwölf Patienten, zehn müssen beatmet werden. Auch im Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) hat die Zahl der Coronapatienten wieder merklich zugenommen. Am Freitag habe man 45 Betroffene versorgt, 13 davon auf der Intensivstation, sagt Mark Dominik Alscher, der Medizinische Geschäftsführer. Die Patienten seien im Schnitt zwischen 40 und 60 Jahre alt und zuallermeist ungeimpft. Im RBK müssten jetzt schon jeden Tag Operationen verschoben werden. Das sei, so Alscher, auf „Engpässe auf der Intensivstation“ zurückzuführen.

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Man müsse auf der Intensivstation schließlich auch andere Notfallpatienten behandeln. Überdies gebe es personelle Engpässe sowohl bei Pflegekräften wie bei Ärzten, die nach der langen Coronazeit gewisse Erschöpfungssymptome zeigten. Mit Blick auf die kommenden Wochen stellt Mark Dominik Alscher für das Robert-Bosch-Krankenhaus fest: „Wir sind nicht so gut aufgestellt wie vor einem Jahr.“ Er fordert deshalb ein schnelles Eingreifen der Politik, um diese Entwicklung zu stoppen. Allerdings sehe er derzeit „niemanden, der wirksame Maßnahmen ergreift“.

Die Medius-Kliniken senden einen Notruf

„Auch bei uns steigen die Zahlen“, sagt Rainer Kruse, der Sprecher des Marienhospitals. Vorige Woche habe man auf der Intensivstation noch zwei Coronapatienten behandelt, „jetzt sind es fünf“. Alle werden beatmet, vier seien ungeimpft, der geimpfte Patient habe „schwere Vorerkrankungen“.

Einen Notruf senden inzwischen die im Kreis Esslingen tätigen Medius-Kliniken aus. „Die Situation ist extrem angespannt. Wir haben keine Intensivkapazitäten mehr frei, und das Verlegen von Patienten gestaltet sich schwierig“, berichtet die Kliniksprecherin Iris Weichsel. Zunächst habe sich die vierte Welle nur ganz langsam angebahnt: „Doch zuletzt ging es ganz schnell.“ Das beobachtet auch Mark Dominik Alscher: „Die Zahl der Patienten auf den Fieberambulanzen ist zuletzt stark gestiegen – und die Hälfte davon ist dann positiv.“ Das sei ein klarer Beleg dafür, dass es sich mittlerweile um ein diffuses Infektionsgeschehen handele.