Ingenieure22 üben Kritik Streit um Zahl der Störfälle im S-Bahn-Netz

Wie labil ist das S-Bahn-System? Müssen wegen Störungen im Jahr wirklich nur etwa bei zehn Gelegenheiten S-Bahnen über die Panoramastrecke der Gäubahn geschickt werden? Die Ingenieure22 werfen der Bahn das Schönen der Zahlen vor.
Stuttgart - Die Frage, wie viele Störfälle es im S-Bahn-Netz und vor allem auf der Stammstrecke unter der Stuttgarter Innenstadt gibt, sorgt zunehmend für Kontroversen. Am Freitag haben die Stuttgart-21-kritischen Ingenieure22 und das Portal S-Bahn-Chaos.de in diesem Zusammenhang Florian Bitzer von der Bahn-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm angegangen. In einer Pressemitteilung warfen sie ihm vor, er habe am vergangenen Mittwoch im Rosenstein- und Stuttgart-21-Ausschuss der Stadt „gnadenlos geschönte und damit falsche Zahlen präsentiert“. Was in einer offiziellen Landtagsdrucksache zu der Anzahl der Störfälle publiziert worden sei, spreche eine ganze andere Sprache.
Anlass der Diskussion war ein Doppelinterview der Stuttgarter Zeitung mit Gerhard Heimerl, geistiger Vater von Stuttgart 21, und dem Mobilitätsberater Klaus Amler. Dabei hatte Amler gesagt, dass es jährlich zu rund 120, unterschiedlich lang andauernden Störungen auf der S-Bahn-Stammstrecke unter der Stuttgarter Innenstadt komme. Damit verbanden die beiden die Forderung nach einem Ausweichkonzept und der Einbindung der Panoramastrecke mit neuen Anschlüssen, am besten auch mit einer unterirdischen Ergänzungsstation für Züge und S-Bahnen beim neuen Tiefbahnhof. Die Zahl 120 wies Bitzer im Ausschuss zurück. Man könne nur von zehn bis 20 derartigen Fällen reden, eher nur von zehn.
Bahn-Pressestelle relativiert Zahl der Tage mit Störfällen auch
Einige Tage zuvor hatte bereits die Bahn-Pressestelle erklärt, in den zurückliegenden Jahren habe die Panoramastrecke nur zwischen acht- und 25-mal pro Jahr als Ausweichstrecke infolge von Störungen der S-Bahn genutzt werden müssen – und dies auch nur kurzzeitig während der jeweiligen Störung. Darüber hinaus sei die Panoramabahn von der S-Bahn ausschließlich während Bauarbeiten oder für Leerfahrten genutzt worden.
Die Ingenieure22 hielten nun dagegen. Laut der Landtagsdrucksache 16/6741 aus dem Jahr 2019 hätten 2017 an 139 Betriebstagen insgesamt 679 Züge über die Panoramabahnstrecke umgeleitet werden müssen. 2018 habe es sich um 150 Betriebstage und 988 Züge gehandelt, 2019 allein bis August um 130 Betriebstage und 3848 Züge. „Selbst wenn zwei Drittel des hohen Wertes in 2019 von umfangreichen Baumaßnahmen im Knoten Stuttgart verursacht sein sollten, haben wir offensichtlich dauerhaft weit über 100 Tage im Jahr S-Bahn-Umleitung über die Panoramastrecke“, so die Ingenieure22.
In der besagten Landtagsdrucksache hatte das Landesverkehrsministerium berichtet, diese Zahlen gingen auf die Deutsche Bahn zurück, derzufolge zwischen geplanten und ungeplanten Sperrungen der Stammstrecke nicht unterschieden werden könne. Die Ermittlung der Verspätungsstunden wäre sehr arbeitsintensiv.
Bahn sieht keinen Widerspruch zur Landtagsdrucksache
Auf Nachfrage erklärte die Bahn-Pressestelle in Stuttgart am Freitagabend, die Landtagsdrucksache sei kein Widerspruch. Werde der ausdrücklich angeführte Baustellenverkehr in 2019 herausgerechnet, seien „nur 159 Umleitungszüge über die Panoramabahn gefahren – zum überwiegenden Teil infolge von Störungen der S-Bahn-Stammstrecke bei der bereits genannten Anzahl von Störungsfällen im Jahr“. Ungeachtet dessen würden mit der neuen Infrastruktur im Knoten Stuttgart nach 2025 auch völlig neue Möglichkeiten für Störfallkonzepte geschaffen, womit das weitere Vorhalten der Panoramastrecke für Störfälle nicht notwendig sei.
Die Bahn will bei Störfällen auf der S-Bahn-Stammstrecke künftig den neuen Fildertunnel von Stuttgart 21 nutzen. Die jüngste Idee, die Gäubahnzüge am Flughafen nicht wie bisher geplant auf der S-Bahn-Strecke zu führen, wirft allerdings Fragen für die Erreichbarkeit der S-Bahn-Stationen besonders auf den Fildern auf.
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