Initiative „Gute Schule jetzt“ Sind zwei Lehrer besser als einer?

Lieber zwei statt einer Lehrerin? Foto: Adobe Stock/johoo, dpa/Patrick Pleul (2)    Montage: /Kaszlikowski

Die pensionierte Pädagogin Dagmar Schäfer aus Feldberg trommelt für den Volksantrag „Gute Schule jetzt“. Das Ziel: In jeder Grundschulklasse sollen zwei Lehrkräfte unterrichten statt einer. So sollen die Schüler mehr lernen.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Sie war jahrzehntelang Grundschullehrerin, ist mittlerweile pensioniert und sagt sinngemäß, knapp zusammengefasst: Es reicht! Dagmar Schäfer, 64 Jahre, aus Feldberg im Schwarzwald hat zusammen mit Gleichgesinnten den Volksantrag „Gute Schule jetzt“ auf den Weg gebracht. Die Lehrerin fordert, dass an den rund 2500 Grundschulen im Land in allen Klassen immer zwei Lehrer gleichzeitig unterrichten, statt wie bis dato lediglich ein Lehrer.

 

„Wir stecken in einem alten Schulsystem fest“, so die Bildungsaktivistin. Dieses System passe nicht mehr zur Lebenswirklichkeit der Kinder, es verwalte die Schulen nach überholtem Muster: „Hierarchisch, von oben herunter und ohne Feedbackkultur. Es produziert Schulstressalltag und versagt immer mehr.“

Jeder Vierte kann nach der Grundschule nicht richtig lesen

Dieses Versagen wird seit vielen Jahren regelmäßig in Studien dokumentiert. Rund 25 Prozent aller Grundschüler können nach Klasse vier offenbar nicht oder nicht gut genug lesen, schreiben und rechnen. Ein Armutszeugnis, sagt Frau Schäfer.

Dagmar Schäfer: Bildungswende durch mehr Lehrer Foto: Privat

Ausbildungsbetriebe kritisierten, dass immer mehr Lehrlingen vieles fehle, „auch die Haltung“. Schuld daran sei in erster Linie das veraltete Schulsystem, zu kurz kämen im Schulalltag längst nicht „nur“ der Kompetenzaufbau und die Lerninhalte, sondern auch das Miteinander der Schüler, die Kommunikation und die Beziehungsarbeit.

Zwei Lehrkräfte je Klasse: Das bringe den Kindern, Eltern und Lehrkräften Verlässlichkeit und sinnstiftenden Unterricht, mehr Projektarbeit, mehr Demokratiebildung und Potenzialentwicklung, Kompetenzaufbau, Kindergrundsicherung, Chancengerechtigkeit und ermögliche die Integration von Kindern mit Behinderung.

Die Landesregierung verstoße eklatant gegen die eigene Landesverfassung, so die Pädagogin im (Un-)Ruhestand. In der Verfassung heiße es nämlich: „Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung. Das öffentliche Schulwesen ist nach diesem Grundsatz zu gestalten.“

Die geforderte Doppelbesetzung mit Lehrkräften ermögliche eine „praxiswirksamen Bildungswende“. Dagmar Schäfer kritisiert auch „meine“ Grünen, die bekanntlich mit Theresa Schopper die Kultusministerin stellen. Zwei Lehrer je Grundschulklasse, was würde das denn kosten? Ist doch unbezahlbar, könnte man einwerfen. Ganz grob geschätzt eine Milliarde Euro jährlich, antwortet die Initiatorin.

Die Wirklichkeit: Eklatanter Lehrermangel

Keine Frage, das sei viel Geld. Aber wenn das Schulsystem nicht radikal verändert werde, „dann verlieren wir die Hoffnung“. Dann blieben immer mehr Kinder auf der Strecke. Und das sei – langfristig betrachtet – noch viel teurer. Die krasse Forderung nach zwei Lehrern je Klasse ist angesichts des bereits bestehenden Lehrermangels doch komplett unrealistisch! Was sagt Dagmar Schäfer zu solchen Vorhaltungen? Sind sie und ihre Mitstreiter vielleicht Traumtänzer?

Von Traumtänzern spricht man im für die Schulen zuständigen Kultusministerium in Stuttgart freilich nicht, jedenfalls nicht öffentlich. Der Pressemann des Ministeriums, Florian Mader, bezieht allerdings klar und deutlich Stellung und sagt: „Angesichts der rund 18 000 Regelklassen an Grundschulen würde eine Doppelbesetzung gut 20 000 zusätzliche Grundschullehrkräfte erfordern.“

Auch wenn das Land Baden-Württemberg die Studienkapazitäten deutlich erhöht habe, seinen „diese Quantitäten im Lichte des aktuellen Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklungen absehbar nicht umsetzbar“. Sobald die ausgebauten Studienkapazitäten zum Tragen kämen, könne mit 1200, maximal 1500 Laufbahnabsolventen pro Jahr gerechnet werden.

Diese Frauen und Männer würden aber „weitgehend“ benötigt, um jene Lehrerinnen und Lehrer zu ersetzen, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen und um „bildungspolitische Maßnahmen zu bedienen“. Die für eine Doppelbesetzung benötigten Lehrkräfte würden zusätzlich etwa 1,4 Milliarden Euro kosten – pro Jahr.

Matthias Schneider, der Geschäftsführer Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg, sagt, der Vorschlag der Initiative sei gut, aber nicht neu. Bereits im Jahr 2011 hätten die Grünen im Koalitionsvertrag mit der SPD das Zwei-Lehrkräfte-Prinzip versprochen, zunächst für den Inklusionsunterricht.

Das, so Matthias Schneider weiter, sei bis heute nicht eingelöst, „wäre aber der erste wichtige Schritt“ in die richtige Richtung. Bei Grundschullehrerinnen und -lehrern liege der Lehrkräftemangel bisher „nicht daran, dass es nicht genügend Bewerber und Bewerberinnen für das Lehramtsstudium gibt“. Die Landesregierung sei verantwortlich, mehr Studienplätze zu schaffen.

Die Initiative fordert: Mehr Geld!

Klar sei eine Doppelbesetzung machbar, das sagt Dagmar Schäfer, die sich bei dem Thema regelrecht in Rage reden kann. Im Volksantrag „Gute Schule jetzt“ werde ein Start des neuen Unterrichts im Jahr 2033 gefordert, in zehn Jahren erst! Es bleibe also genügend Zeit zum Umsteuern, um mehr Studienplätze bereitzustellen. Und mehr Geld.

Wenn Abiturientinnen und Abiturienten wüssten, dass sich der Unterricht an allen Grundschulen im Land und damit auch die Arbeit für die Lehrer „sensationell“ verbessern wird, dann sei mit mehr Lehramtsstudentinnen und -studenten zu rechnen, mit deutlich weniger Abbrechen an den Pädagogischen Hochschulen und schlussendlich mit genügen Lehrkräften im Jahr 2033.

Dagmar Schäfer ist überzeugt, dass alle möglichen Alternativen zur Doppelbesetzung schlechtere Lösungen wären. Kleinere Klassen zum Beispiel, selbst in besser ausgestatteten Schulen. Denn es gebe schlicht gar nicht genügend Zimmer in den Schulen für mehr Klassen. Zudem seinen größere Gruppen, wenn sie von zwei Pädagogen betreut werden, besser für das Miteinander in den Klassen.

Wie geht’s weiter mit dem Volksantrag? Bis Anfang Januar 2024 müssten zunächst mal rund 40 000 wahlberechtigte Bürger in Baden-Württemberg unterschreiben. Wenn das gelingt, dann muss sich der Landtag mit der Frage beschäftigen, ob eine Doppelbesetzung eine Option sein könnte.

Dagmar Schäfer sagt, selbst wenn die 40 000 Namen (noch) nicht zusammenkommen sollten, sie und ihre Mitstreiter würden weiter kämpfen. Immer weiter. Die radikale Wende in der Bildungspolitik mithilfe der Doppelbesetzung sei ein grundlegender und zugleich einfach umzusetzender Lösungsansatz.

Der Volksantrag

Ein Volksantrag
ist keine Petition. Für einen Volksantrag sind 40 000 handschriftliche Unterschriften erforderlich. Jede Person muss ein eigenes Formblatt ausfüllen.

www.laestigbleiben.de

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