Mit einem ersten Aufruf für Projektvorschläge startet die Internationale Bauausstellung IBA 2027 in die konkrete Phase. Für Intendant Andreas Hofer ist eine Zielrichtung klar: Stadt muss größer gedacht werden. Aber warum eigentlich?

Stuttgart - Die Internationale Bauausstellung 2027 schlägt ein neues Kapitel der Zusammenarbeit in der Region auf. In diesen Tagen startet sie die Sammlung visionärer Ideen – und bezieht dabei nicht nur die Stadt Stuttgart, sondern die gesamte Region ein. „Wir wollen Projekte mit dem Mut, drängende Zukunftsfragen fantasievoll anzugehen, die unter dem Dach der IBA internationale Strahlkraft entwickeln“, sagt der seit Jahresanfang amtierende Intendant Andreas Hofer.

 

Erste Projekte gesucht

Mit diesem ersten Projektaufruf sei die IBA in der Öffentlichkeit angekommen, sagt Hofer. Dabei setzt der Intendant auf die regionale Karte. „Wir werden die Fragen der Zukunft nur lösen, wenn wir die Stadt größer denken“, sagt er – und denkt dabei über die Grenzen Stuttgarts hinaus. Längst seien Herausforderungen wie Mobilität, Wohnungsbau und die Entwicklung von Quartieren nur noch regional zu lösen. „Die Dörfer sind keine grüne Idyllen mehr“, sagt er, „das Stadt-Land-Gefälle zu pflegen, ergibt keinen Sinn.“

Das Beispiel Wien

Wie wichtig die Stadt-Umland-Beziehungen sind, machte auch eine Debatte auf dem Kongress „Stadt der Zukunft – Zukunft der Stadt“ unserer Zeitung deutlich. „Die Lebenswelten der Menschen machen nicht an den Territorialgrenzen halt“, sagt Renate Zuckerstätter-Semela, Stadt-Umland-Managerin im Gebiet Wien/Niederösterreich. Die Politik aber orientiere sich noch an diesen Grenzen, sei es bei der Finanzierung von oder der Entscheidung über Projekte. Das sei gerade im Gebiet der österreichischen Hauptstadt zu beobachten: „Zwischen Wien und Niederösterreich fällt die Landesgrenze runter“, sagt Zuckerstätter-Semela. Sie hält die Zusammenarbeit im Ballungsraum Stuttgart mit der direkt gewählten Regionalversammlung und den Kompetenzen des Regionalverbands bei Planung, Wirtschaftsförderung und Nahverkehr für beispielhaft. „Für jemand, der regional denkt, ist das das Blaue vom Himmel.“ Allerdings sind für die Ausweisung der Wohnquartiere und ihre Bebauung allein die Städte und Gemeinden zuständig.

Das Beispiel Köln

Im Gegensatz zu Wien, das mit einem großen eigenen Wohnungsbestand und einem starken ÖPNV punktet, ist die Situation in vielen deutschen Metropolregionen anders, wie Berthold Rothe, Dezernent im Rhein-Erft-Kreis rund um Köln, sagt. „Die Zentralstadt kann die Wünsche der Bürger und der Unternehmen nicht mehr befriedigen, weil dort der Platz knapp ist“, stellt er fest. Den Bürgern sei es mittlerweile egal, ob sie in- oder außerhalb der Stadtgrenzen wohnen. „Denen geht es bei uns nicht ums K auf dem Nummernschild, sondern um preiswerten Wohnraum“, sagt Rothe.

Das Beispiel Frankfurt

Sein Kollege Thomas Horn vom Regionalverband Frankfurt/Rhein-Main sieht noch weitere Bremsklötze. „Das Planungsrecht kennt alles – nur keine Beschleunigung“, schimpft der CDU-Politiker mit Verweis auf die zu langen Planungszeiten. Zudem seien heutige Entscheider – damit meint er Bürgermeister und Stadträte – wegen der Proteste der Bürger zu ängstlich, um große Baugebiete auszuweisen. Schließlich sei es die Wohnbevölkerung, die sie wähle.

Und was ist zu tun? Die Diskutanten plädieren für eine höhere Dichte der Bebauung, also Mehr- statt Einfamilienhäuser, selbst Wohnhochhäuser müssten möglich sein. „San Diego hat die Zahl seiner Punkthochhäuser in kurzer Zeit verdoppelt“, berichtet Olaf Kühne, Professor für Stadt- und Regionalentwicklung an der Universität Tübingen, „hier bei uns ist man sehr, sehr träge, Dinge neu zu denken“. Dazu gehöre auch, dass „wir mitten im Informationszeitalter die Menschen in die Städte karren, wo sie Informationen bearbeiten.“ Dem Professor, der so gar nicht aus dem Elfenbeinturm zu stammen scheint, fällt da nur ein ziemlich unprofessorales Urteil ein: „Irrsinn“.

Häuser anders gebaut

Auch deshalb sucht der IBA-Intendant Hofer „ambitionierte Antworten auf die Frage: Wie leben, wohnen und arbeiten wir im 21. Jahrhundert?“ Dabei gibt er vor, dass „wir Häuser anders herstellen müssen“. Heute würde viel Energie verwendet, um ein Gebäude zu errichten, und es entstehe viel Müll, wenn es abgerissen werde. Vor allem aber müssten neue Formen des sozialen Wohnungsbaus gefunden werden, wofür Hofer auf dem Kongress einige Beispiele zeigt, denen gemein ist: gute Architektur, viele Wohnungen auf wenig Grundfläche, Nähe von Arbeiten und Wohnen, flexible Grundrisse und Vorfahrt für Fußgänger und Radfahrer. Ob diese Ansprüche zu erfüllen seien, wird Hofer gefragt. „Das ist doch eine schöne Aufgabe“, sagt er, „ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingen wird.“

IBA sucht Projekte zur Vernetzung

IBA
Die Bauausstellung 2027, die genau 100 Jahre nach der Weißenhofsiedlung stattfindet, hat drei Standbeine: das IBA-Netz als Plattform für verschiedene Projekte, fünf bis sieben IBA-Quartiere und die IBA-Festivals, die 2023, 2025 und 2027 Beispiele für experimentelle und temporäre Architektur zeigen.

Aufruf
Die Projektvorschläge für das IBA-Netz können einzelne Bauwerke, innovative Infrastrukturmaßnahmen oder ganze Quartiere sein, aber auch nicht bauliche Projekte wie Forschungsvorhaben, experimentelle Veranstaltungsformate, neuartige Planungsprozesse, Beteiligungsverfahren, Ausstellungen oder Kongresse. „Auch kleine Projekte und Schritte in die Zukunft, die nur Teilaspekte der Themenwelt der IBA 2027 abdecken, sind willkommen“, sagt IBA-Intendant Andreas Hofer, der betont: „Wir verstehen das IBA-Netz explizit nicht als Wettbewerb mit Preisen und harten Kriterien, sondern als eine breite Sammlung anspruchsvoller Ideen und ihren Potenzialen“.

Anspruch
Grundvoraussetzungen für die Aufnahme eines Projekts ins IBA-Netz sind die Ausrichtung an ambitionierten Nachhaltigkeitszielen der IBA, erkennbare Zukunftsfähigkeit und der Mut, in einem gemeinsamen Prozess Experimente zu wagen und grundlegend neue Wege zu beschreiten. „Die IBA will Ungewohntes und Neues möglich und sichtbar machen“, sagt Hofer.

Verfahren
Projektideen einreichen können die unterschiedlichsten Akteure: Kommunen, Einrichtungen aus Forschung und Wissenschaft, Institutionen, Unternehmen, Privatinvestoren, zivilgesellschaftliche Akteure und Initiativen. Die Projektsammlung läuft während der gesamten Zeit der Bauausstellung bis 2027. Nach einer Sichtung der Vorschläge wird das Kuratorium Anfang 2019 erste Projekte auswählen. Dossier und Fragebogen für Vorschläge gibt es hier.