Die Internetnutzer wehren sich gegen neue Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums. Wikipedia geht offline – und findet Nachahmer.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Washington - In ihrem Kampf um politischen Einfluss in den USA haben die Neuen gegen die Alten Medien einen klaren Sieg errungen. Wer am Mittwoch die englischsprachige Ausgabe der Internet-Enzyklopädie Wikipedia aufrufen wollte, wurde zum Mitkämpfer in diesem Streit über das Copyright und die Freiheit des Internets. "Stellen Sie sich eine Welt ohne frei verfügbares Wissen vor", war auf einer schwarz gefärbten Seite zu lesen: "Der US-Kongress erwägt eine Gesetzgebung, die das freie und offene Internet unwiderruflich beschädigen könnte." Der anklickbare Knopf, um die Kontaktdaten des zuständigen US-Kongressabgeordneten am Wohnort zu finden, stand gleich darunter. Die Suchmaschine Google protestierte etwas dezenter. Ein schwarzer Balken über dem Logo der Website genügte.

 

Hintergrund des öffentlichkeitswirksamen Aufstands, der dazu führte, dass die Büros vieler Kongressabgeordneter unter dem Ansturm an Mails und Anrufen zusammenbrachen, sind zwei im Senat und Repräsentantenhaus geplante Gesetze, welche die US-Unterhaltungs- und -Filmindustrie vor Internetpiraterie im Ausland schützen sollen. Innerhalb der Vereinigten Staaten können die Behörden schon heute dagegen vorgehen. Doch künftig sollen US-Internetanbieter, ob Großportale wie Wikipedia und Google oder kleine Plattformen, gesetzlich dazu verpflichtet werden, notorischen Copyrightsündern im Ausland den Zugang zu sperren. In Suchmaschinen sollten diese Seiten nicht mehr auffindbar sein. Jeder Verweis auf sie und jegliche finanzielle Transaktion mit ihnen, etwa durch das Schalten von Anzeigen, wären strafbar.

Besser auf die Selbstregulierungskräfte des Internets vertrauen

Die Kritiker bemängeln, dass dies einer Internetzensur Tür und Tor öffne. Das US-Justizministerium werde zu einem Schiedsrichter mit weit reichenden Befugnissen, der sogar Kreditkartenbetreibern verbieten könne, für bestimmte Seiten den Zahlungsverkehr abzuwickeln. Die Betreiber von Websites würden zu Polizisten in staatlichem Auftrag, ohne dass im Einzelnen transparent würde, welche Rechte an geistigem Eigentum nun wirklich verletzt würden. Es sei viel besser, auf die Selbstregulierungskräfte des Internets zu vertrauen.

Doch die Gesetze wird es in dieser Form wohl ohnehin nicht geben. Der anfängliche politische Sieg der Unterhaltungs- und Medienunternehmen, einer traditionell bei Demokraten und Republikanern einflussreichen Lobbygruppe, droht sich ins Gegenteil zu verkehren. Und es wird deutlich, wie sehr die milliardenschwere Internetbranche in der Lage ist, politischen Druck aufzubauen. Der perfekt organisierte Aufstand der Nutzer ist dabei nur die eine Seite. Längst sind Firmen wie Google und Yahoo auch Großspender für die beiden Parteien. Wenn Präsident Barack Obama Modernität demonstrieren will, so hat er dies jüngst bei Terminen getan, für die Internetfirmen Technik und Kulisse lieferten: Sogenannte Online-Bürgerversammlungen sind im Weißen Haus inzwischen en vogue.

Dort hat man auch erkannt, welche Sprengkraft in den lange still vor sich hindümpelnden Gesetzen steckt. Vor wenigen Tagen kam die Regierung aus der Deckung und kritisierte die Pläne massiv. "Wir werden kein Gesetz unterstützen, das die Meinungsfreiheit verringert oder das dynamische, innovative Internet unterminiert", hieß es in einer Stellungnahme. Auch einige Republikaner, die beim Schutz von Eigentumsrechten oft ihre Aversion gegen staatliche Eingriffe hintanstellen, haben sich inzwischen gegen die Verschärfung der rechtlichen Regelung ausgesprochen.