Wie würde es besser gehen?
Wir müssen das System viel mehr auf die Eigenverantwortung der Menschen ausrichten, also auf eine selbstständige Lebensführung. Heute erziehen wir die Menschen zur Unselbstständigkeit.
Was schwebt Ihnen konkret vor?
Jeder Arbeitnehmer muss und darf mit seinem Einkommen haushalten. Diesen Ansatz sollten wir im System übernehmen. Heute muss im Jobcenter hunderttausendfach geprüft werden, ob die Wohnung, in der ein Bezieher von Hartz IV lebt, von der Miete her angemessen ist. Das führt natürlich auch zu Konflikten zwischen dem Jobcenter und den Betroffenen. Die Lösung sind regional gestaltete Pauschalen für die Kosten der Unterkunft – Pauschalen, mit denen die Betroffenen dann genauso selbstständig haushalten müssen, wie es der Arbeitnehmer mit seinem Einkommen tut. Diese Pauschalen sollten dringend eingeführt werden, weil den Jobcentern sonst zu wenig Zeit für ihre eigentliche Aufgabe bleibt.
Worin besteht die?
Trotz guter Konjunktur und trotz eines Anstiegs bei sozialversicherungspflichtigen Stellen ist mancherorts die Langzeitarbeitslosigkeit wieder gestiegen. Viele der Langzeitarbeitslosen sind in dritter oder vierter Generation ohne Job und eigenes Einkommen. Wir müssen also viel mehr tun, um auch den Schwächeren eine Chance auf Lohn und Brot zu geben. Mich ärgert, dass in der Öffentlichkeit oft vom Missbrauch gesprochen wird, wenn es um Hartz IV geht. Glauben Sie mir: die allermeisten Empfänger von Hartz IV wollen arbeiten. Und nichts ist für sie enttäuschender, als wenn wir ihnen kein Angebot machen können oder wenn sie nach langer Suche endlich eine Stelle finden, die dann aber nach kurzer Zeit wieder wegfällt.
Jobvermittlung ist schwer bei Leuten, die keinen Berufs- oder Schulabschluss haben. Und den haben viele Langzeitarbeitslose nicht.
Richtig. Umso mehr müssen wir uns anstrengen. Klar sind viele Firmen zögerlich, einen Langzeitarbeitslosen einzustellen. Das verstehe ich auch. Es ist ja für die Personalabteilung erst mal ungewöhnlich, sich mit jemanden zu beschäftigen, der keinen Schul- und vielleicht auch keinen Berufsabschluss hat, jahrelang arbeitslos war, möglicherweise gesundheitliche und persönliche Einschränkungen mitbringt und vielleicht auf den ersten Blick nicht so stylish aussieht. Es ist aber auch eindeutig so, dass die meisten Firmen mit der Leistung eines früheren Langzeitarbeitslosen sehr zufrieden sind. Wir müssen weg von den Denkblockaden und Vorurteilen und jedem eine Chance geben.
Sollte es einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor geben?
Das Wort ist in Deutschland negativ besetzt, weil es in den neunziger Jahren einen enorm aufgeblähten Sektor dieser Art gab. Den will niemand zurückhaben. Wahr ist aber auch, dass es viele Menschen gibt, bei denen wir auch mit bester Förderung und Engagement von Firmen es nicht schaffen, sie in einen Arbeitsplatz zu vermitteln. Hartz IV bestimmt, dass in Deutschland jeder als erwerbsfähig gilt, der mindestens drei Stunden am Tag arbeiten kann. Das ist eine sehr strenge Definition, denn damit gelten offiziell auch viele Menschen mit körperlichen oder seelischen Krankheiten als erwerbsfähig. Berlin hat diese Definition gewählt, was ich auch für richtig halte. Ich sage jedoch, dass man dann auch dringend konsequent sein muss und dann auch für einige Hunderttausend Menschen eine öffentlich geförderte Beschäftigungsmöglichkeit anbieten muss. Und dies muss bei normalen Arbeitgebern des allgemeinen Arbeitsmarkts wie auch bei Kommunen, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden ermöglicht werden. Die heutige Lage ist unfair: Menschen, die objektiv nicht am regulären Erwerbsleben teilhaben können, macht die Gesellschaft kein Angebot und speist sie auf Dauer mit Hartz IV ab – mitsamt der Folgen für sie und ihre Familien, von denen ich sprach.
Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Dass sie die Verwaltung drastisch vereinfacht und damit für die Menschen verständlicher gestaltet. Was ein Jobcenter an Geldleistungen zum Lebensunterhalt berechnet, muss im schriftlichen Bescheid auf einer Seite verständlich darstellbar sein – und nicht wie heute auf oft zehn und in Einzelfällen bis zu 100 Seiten. Dafür hat ein Fachleute-Gremium 127 Einzelvorschläge erarbeitet, die jetzt auf dem Tisch liegen. Auch müssen die Übergänge aus der Grundsicherung in Arbeit noch einfacher und motivierender gestaltet werden. Je weniger Papierkrieg es gibt, umso besser können die Jobcenter das Fördern, das Qualifizieren, das Unterstützen von Hunderttausenden anpacken. Das ist in Zeiten des Fachkräftemangels ökonomisch geboten.