Die Jobcenter schlagen sich mit Bürokratie herum – dabei sollten sie lieber Arbeitslose vermitteln, kritisiert der Stefan Graaf, der Sprecher der Jobcenter-Geschäftsführer im Gespräch mit Bernhard Walker.

Stuttgart – - Mehr als 2,8 Milliarden Blatt Papier haben sich in den Jobcentern angesammelt. Um die Akten lagern zu können, wurden nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 50 Millionen Euro für Miete ausgegeben. Wie die Bürokratieflut die Arbeit der Jobcenter hemmt, schildert Stefan Graaf, der ein Jobcenter leitet.
Herr Graaf, seit fast zehn Jahren gibt es Hartz IV. Was hat die Reform bewirkt?
Stefan Graaf Foto: StZ
Die Reform hat bewirkt, dass die Geldleistungen zum Lebensunterhalt sowie Aktivierung, Betreuung und Vermittlung der Menschen in Arbeit jetzt in der Hand einer Einrichtung liegen. Das Jobcenter kümmert sich zum einen um Menschen, die erwerbsfähig sind, ihren Lebensunterhalt aber nicht aus Arbeit bestreiten können – sei es, weil sie lange arbeitslos sind, sei es, weil sie wenig verdienen. Und zum zweiten kümmern sich die Jobcenter darum, dass möglichst viele Menschen möglichst rasch wieder in Lohn und Brot kommen.
Ist es gut, dass eine Behörde beide Aufgaben übernimmt?
Ja, das war vorher auf verschiedene Behörden verteilt und nicht effektiv. Die Zahlen sprechen dafür, dass die Jobcenter gute Arbeit machen. Sie sichern die Existenz von sechs Millionen Menschen. Und sie schaffen es, dass jedes Jahr eine Million Menschen eine sozialversicherungspflichtige Arbeit findet. Angesichts schwieriger Umstände ist das ein großer Erfolg.
Was meinen Sie mit schwierigen Umständen?
Ich schildere Ihnen das an konkreten Beispielen. Als Hartz IV entstand, wollte Berlin die rechtlichen und organisatorischen Abläufe vereinfachen. Leider ist das Gegenteil eingetreten. Ich sagte ja schon, dass viele Menschen Hartz IV beziehen, die ihren Lebensunterhalt nicht ganz aus ihrem Lohn oder Gehalt bestreiten können. Das sind die sogenannten Aufstocker. Wenn ein Aufstocker auch nur eine Überstunde macht, muss neu ausgerechnet werden, wie sich sein Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt verändert – wie viel Geld ihm also jetzt vom Jobcenter zusteht. Allein damit sind in den Jobcentern viele Mitarbeiter beschäftigt. Oder ein anderes Beispiel: Wenn nach einer Scheidung der getrennt lebende Mann für die Kinder keinen Unterhalt zahlt, gibt es den Unterhaltsvorschuss. Den Vorschuss zahlen der Bund, das Land und die Kommune. Deshalb muss das Jobcenter in jedem einzelnen Fall ausrechnen, welcher Anteil des Vorschusses auf welche staatliche Ebene entfällt. Eine Expertin hat mal geprüft, wie aufwendig das ist. Das Ergebnis: es handelt sich um 300 000 Fälle, die für die betroffenen Behörden zehn Millionen Sachbearbeiterstunden nötig machen, was Verwaltungskosten von 460 Millionen Euro auslöst. Und wir reden hier nur von einem einzigen Verwaltungsvorgang.
Woher kommt der?
Wir neigen ja in Deutschland zu höchst komplizierter Einzelfallgerechtigkeit. Meine holländischen Kollegen sind immer ganz erstaunt, wenn ich Ihnen unsere Praxis schildere. Dass wir zum Beispiel ermitteln müssen, wie die Menschen ihr Warmwasser bekommen – über einen Boiler oder eine zentrale Warmwasseranlage –, ist einfach Unsinn und keinem Menschen zu vermitteln. Der Gesetzgeber schreibt sich in gut gemeinter Absicht immer die Verwaltungsvereinfachung auf die Fahne. Doch heraus kommt meist das Gegenteil. Wenn zum Beispiel ein Jurist als Sachbearbeiter neu ins Jobcenter kommt, braucht er etwa ein Jahr, bis er in der Sache firm ist, weil die Verwaltung so komplex ist, wie der Gesetzgeber und so manche Entscheidung der Gerichte sie gemacht haben.