Obwohl die Umfragewerte schlecht sind, empfiehlt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, seinen bisherigen Kurs beibehalten.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)
Berlin – Am Sonntag hält die SPD ihren Bundesparteitag in Berlin ab. Angesichts schlechter Umfragen verordnet Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil seiner Partei die Devise: Bange machen gilt nicht .
Herr Ministerpräsident Weil, braucht die SPD ein starkes Antidepressivum, um den Parteitag einigermaßen zu überstehen?
Natürlich nicht, wie kommen Sie darauf?

Das Wahlprogramm heißt zwar „Regierungsprogramm“. Aber die Umfragen belegen, dass es trotz Verdruss über Schwarz-Gelb keine Wechselstimmung gibt. Zuletzt hatte Schwarz-Gelb sogar wieder eine Mehrheit. Ist das kein Grund für Depression?
Mir sagen die Umfragen, dass der Ausgang der Bundestagswahl völlig offen ist. Soziale Gerechtigkeit ist ein Thema, dass die Menschen sehr bewegt. Es gibt einen Gleichklang zwischen den SPD-Prioritäten und den Auffassungen der Mehrheit. Wir haben noch ein halbes Jahr Zeit. Folgerichtig sind wir zuversichtlich und kämpferisch und nicht mit anderen Gefühlslagen befasst.

Peer Steinbrück hat zuletzt weniger Fehler gemacht, dennoch erholen sich seine Umfragewerte nicht. Kann er das Stigma des glücklosen Kandidaten wieder loswerden?
Da fragen Sie ja den Richtigen! Ich kenne diese Situation am eigenen Leib. In Niedersachsen war das Rennen monatelang offen, und ich lag in den Umfragen weit hinter dem CDU-Ministerpräsidenten. Der Vorsprung hat sich zur Wahl hin immer mehr verkürzt und am Ende lagen wir vorn. Daraus ziehe ich zwei Schlüsse: Man sollte die Bedeutung des Kandidaten weder unter- noch überschätzen und es lohnt sich zu kämpfen.

Was muss Steinbrück tun, was lassen?
Er soll weitermachen wie bisher. Es zahlt sich aus, wenn Politiker authentisch und echt sind und man sie wiedererkennt.

Sie sind aber großzügig: Steinbrück authentisch! Viele Bürger reiben sich an den Differenzen zwischen seinen früheren und heutigen Positionen. Passt er zum Programm?
Ja, unbedingt. Weil er neben seiner Finanz- und Wirtschaftskompetenz klar sagt, worauf es ankommt: Die Gesellschaft zusammenzuhalten und fit zu machen für die Herausforderungen, die sich abzeichnen.

Im jüngsten Deutschlandtrend sagten nur 25 Prozent, sie würden bei einer Direktwahl Steinbrück wählen – für Merkel waren sechzig Prozent. Sie hat sich wieder verbessert, er ist weiter abgesackt. Beschleicht Sie nicht manchmal doch die Furcht, dass dieser Wahlkampf aussichtslos ist?
Meine Zahlen waren vom Trend her genauso, und jetzt bin ich Ministerpräsident.

Sie waren Oberbürgermeister in Hannover, aber für viele Niedersachsen dennoch ein unbeschriebenes Blatt und damit eine ideale Projektionsfläche für politische Hoffnungen. Steinbrück kennen die Bürger. Das erweist sich als Handicap.
Egal, ob man bekannt oder unbekannt ist: Man muss sich treu bleiben und darauf setzen, dass die eigene Überzeugung die Wähler überzeugt. SPD und Grüne können ein gutes Ergebnis holen. Ich bin sicher, dass man im Konrad-Adenauer-Haus nicht so fröhlich ist, wie man gelegentlich tut.

Laut einer Umfrage sagen vierzig Prozent der SPD-Anhänger, es gehe in Deutschland „eher gerecht“ zu. Liegt die SPD doch nicht ganz richtig mit ihrem linken Gerechtigkeitsprogramm?
Wir können nicht zufrieden sein, wenn nur vierzig Prozent finden, es gehe gerecht zu.

Es kann aber ein Problem sein, wenn vierzig Prozent der eigenen Anhänger sagen: Der Kern der SPD-Wahlaussage trifft nicht den Nerv unseres Empfindens.
Umfragen sind mitunter widersprüchlich. In Niedersachsen etwa gab es zugleich eine breite Zufriedenheit mit dem Status Quo und den Eindruck, dass das für die Zukunft nicht reicht. Unsere Gesellschaft ist längst nicht gerecht genug. Wenn wir nicht aufpassen, wird das noch viel schlimmer.

Auffällig ist, dass die Europolitik, die die Agenda stark prägt, im Wahlkampf der SPD eher randständig vorkommt. Ist das die richtige Strategie?
Die SPD hat in den letzten Jahren viele Vorschläge gemacht, zum Beispiel zur Regulierung der Finanzmärkte. Wir sagen, dass wir unsere europäischen Nachbarn nicht nur zum Sparen zwingen dürfen; wir müssen auch helfen, dass sie wieder eine Zukunftsperspektive als wachsende Volkswirtschaften bekommen. Da hört man von der Bundesregierung viel zu wenig.

Manche Strategen meinen, man müsse den Gegner im Wahlkampf bei seinen Stärken angreifen. Merkels Stärke ist Europa.
Wegen der vielen Euroskeptiker in unserer Gesellschaft gibt es ein gemeinsames Interesse der Volksparteien, den Schatz Europa zu pflegen und nicht zu schädigen.

Nach den Enthüllungen über Steueroasen hat Peer Steinbrück der Steuerhinterziehung den Kampf angesagt. Ist das der entscheidende Hebel für mehr Steuergerechtigkeit?
Es ist ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit, Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Ich finde, Deutschland muss sich an den Vereinigten Staaten orientieren. Die USA haben den Schweizer Geschäftsbanken klipp und klar gesagt, entweder ihr verhaltet euch bei Informations- und Datenübermittlung kooperativ, oder ihr seid eure Lizenz für Geschäfte in den USA los. Am Ende haben die Schweizer Geschäftsbanken geliefert. So müssen wir auch vorgehen. Die Cayman-Inseln dürfen nicht bestimmen, wie viel Geld man in den großen Volkswirtschaften an den Staat abgeben muss.

Die starken USA haben viel mehr Einfluss auf die Schweizer Banken als Deutschland.
Der amerikanische Fiskus hat knallhart gedroht. Schäubles Steuerabkommen nimmt sich dagegen wie ein Ablasshandel mit anschließender Amnestie aus. Die Regierung ist viel zu samtpfötig.

Steinbrück hat als Finanzminister – ganz ohne Samt – die Kavallerie bemüht, aber gar kein Abkommen zustande gebracht.
Die Amerikaner haben die Kavallerie ausreiten lassen, und sie hatten Erfolg.

Ist der korrekte Steuervollzug wichtiger ist als eine angemessene Gesetzgebung mit gerechten Steuersätzen?
Menschen, die mehr Geld haben, als der Durchschnitt, haben viel mehr Möglichkeiten, Geld am Fiskus vorbei zu schleusen. Die Möglichkeiten eines normalen Arbeitnehmers, das Finanzamt zu behupsen, sind beschränkt. Erfreulicherweise gibt es hierzulande eine im internationalen Vergleich durchaus überdurchschnittliche Steuermoral. Aber gleichwohl: Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, Steuerhinterziehung zu bekämpfen; und es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, die eigenen Steuergesetze konsequent umzusetzen.

Die Länder sind für den Steuervollzug zuständig. Steinbrück und Schäuble fordern übereinstimmend ein deutsches FBI. Wären Sie bereit, Kompetenzen an den Bund abzugeben, um den Vollzug besser zu machen?
Wenn es ein überzeugendes Gesamtkonzept gibt, ja. Aber ein solches Gesamtkonzept kenne ich im Augenblick nicht, deshalb ist das eine abstrakte Frage.

Wäre eine Bundessteuerverwaltung gut?
Zu einem modernen Föderalismus gehört, dass es keine Denkverbote gibt. Zugleich gilt aber die simple Vorgabe für jede Reform: Hinterher muss es besser sein als vorher. Im Moment sehe ich noch nicht die entscheidenden Vorteile, die eine Bundessteuerverwaltung plausibel machen würden. Warten wir die Diskussion ab.