Rezession, Hyperinflation, und Arbeitslosigkeit lassen viele Iraner verzweifeln. Die Mehrheit der Bevölkerung will ein Ende des Atomstreits.

Teheran - Hassan Rohani gibt den unbeirrbaren Optimisten. Es gebe keinen Weg zurück, erklärte Irans Präsident im Staatsfernsehen, keine der beiden Seiten werde den Konferenztisch in Wien vorzeitig verlassen. „Wir haben den festen Willen, das Problem, das seit zwölf Jahren existiert, zu lösen.“ Hunderte von ausländischen Konzernen warteten darauf, endlich wieder im Iran zu investieren. „Die Welt hat unser Nuklearprogramm akzeptiert und zugestimmt, das Thema durch Verhandlungen zu entschärfen“, sagt der 66-jährige Geistliche.

 

Das jedoch sehen längst nicht alle so in der Islamischen Republik, die über die viertgrößten Öl- und Gasvorkommen der Welt verfügt. Und so ist das Tauziehen innerhalb des Landes inzwischen genauso verbissen wie im Verhandlungssaal in der österreichischen Hauptstadt, wo bis zum Montag ein historischer Kompromiss gefunden werden soll. Außenpolitik ist Innenpolitik, hatte Hassan Rohani seinerzeit als Leitmotiv für seine Präsidentschaft ausgegeben. Kommt es zu einer Atomeinigung, welche die Sanktionen und die internationale Isolierung der Islamischen Republik beendet, wird sich auch das gesellschaftliche Leben in dem Gottesstaat lockern lassen, lautet das Kalkül der moderaten Führung. Kein Wunder, dass die konservativen Widersacher des Präsidenten in Justiz, Parlament und Revolutionären Garden alles tun, um die Atomgespräche zu torpedieren und die ultraorthodoxe islamische Gesellschaftsmoral in ihrem Sinne festzuzurren.

Jeden Tag wird im Iran jemand hingerichtet

Jeden Tag wird im Iran jemand hingerichtet – so wie jüngst die 26-jährige Reyhaneh Jabbari, für deren Begnadigung eine weltweite Solidaritätskampagne gestartet wurde. Die Internetzensur ist rigide, obwohl Präsident Rohani die elektronische Bevormundung des Volkes immer wieder anprangert. Nach wie vor sitzen Dutzende politische Gefangene hinter Gittern. Journalisten werden drangsaliert und die Menschenrechte mit Füßen getreten. Anfang November zogen wieder Tausende in ihrem jährlichen Protestmarsch vor die ehemalige US-Botschaft in Teheran, die vor 35 Jahren besetzt wurde, und skandierten „Tod den USA“ und „Tod Israel“.

In Zeitungen der Hardliner wird der Außenminister Mohammad Javad Zarif, der die iranische Delegation in Wien führt, als „Schauspieler“ verunglimpft, der seine Grenzen nicht kenne. Das iranische Verhandlungsteam werde von der politischen Landkarte gefegt werden, wenn es mit einem Ergebnis nach Hause komme, das nicht ihre Zustimmung finde, drohte die Konservativen im Parlament. Als Zeichen ihrer Entschlossenheit ließen sie am Dienstag zum dritten Mal innerhalb weniger Monate einen Kandidaten Rohanis für das Amt des Wissenschaftsministers durchfallen, der die Aufsicht über Schulen und Universitäten hat.

Die Zivilgesellschaft ist selbstbewusst und gut entwickelt

Die Mehrheit der Bevölkerung dagegen unterstützt ein Ende des Atomstreits, der die iranische Wirtschaft in den letzten drei Jahren in die Knie gezwungen hat. Hyperinflation, Arbeitslosigkeit und Rezession lassen viele Iraner verzweifeln. Sie wollen zwar nicht, dass ihre Führung das nationale Atomprogramm aufgibt und vor den Forderungen der 5+1-Gruppe kapituliert, aber sie hoffen auf ein Ende des Tunnels, auf eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder. Nicht nur Uranzentrifugen, auch Fließbänder müssen laufen, hatte Rohani in seinen Wahlkampfreden geworben.

Ein Standpunkt, den die wachsende Zahl der Mittelklassefamilien teilt. Denn Irans Zivilgesellschaft ist trotz aller Restriktionen selbstbewusst und gut entwickelt. Vor allem die jungen Leute haben die religiös-ideologische Gängelei satt. „Wenn die Atomverhandlungen erfolgreich enden, wird Rohani in der Lage sein, die Gesellschaft zu öffnen und mit seinen Kontrahenten entschiedener umzuspringen“, sagt der politische Kommentator und Reformer Davood Hermidas Bavand. „Wir stehen an einer Wegkreuzung – und wir leben in einem Gefühl von Hoffnung und Erwartung.“