In Rolf Gutbrods und Frei Ottos bewegter Zeltlandschaft des Deutschen-Expo-Pavillons von 1967 in Montreal spiegelte sich ein freundliches, offenes „Swinging Germany“. Ein neuer Band zeichnet ein faszinierendes Stück Architekturgeschichte nach – und führt von Montreal nach Stuttgart-Vaihingen.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Über den Baden-Württemberg-Pavillon auf der Expo 2020 in Dubai wird derzeit heftig gestritten. Dass Architektur als Botschafter taugt, demonstrierte vorbildlich der Deutschen Pavillons auf der Expo 1967 in Montreal. Mit ihrer heiteren Zeltlandschaft brachten Rolf Gutbrod und Frei Otto die kollektive Sehnsucht der Nachkriegsdeutschen nach einer offenen Gesellschaft zum Ausdruck. In der innovativen Stahlseil-Netzkonstruktion der beiden Stuttgarter Architekten spiegelte sich ein freundliches „Swinging Germany“, das das Streben nach Monumentalität hinter sich gelassen hat.

 

Wegweisendes Experiment

Die Leichtbau-Koryphäe Frei Otto ordnete das Zeltdach zurecht weniger als Gebäude denn als „happening“ ein. Joachim Kleinmanns zeichnet in seinem jetzt erschienenen Band „Der deutsche Pavillon der Expo 67 in Montreal“ (Dom Publishers, 216 Seiten, 28 Euro) profund und umfassend die Geschichte dieses „Schlüsselwerks der deutschen Nachkriegsarchitektur“ nach.

Um die Tauglichkeit der Experimentalarchitektur – in Montreal wurde sie zum Publikumsliebling – zu testen, wurde in Stuttgart-Vaihingen ein Versuchsbau errichtet; später entstand daraus das Leichtbau-Institutsgebäude, das bis heute Architektur-Fans aus aller Welt anzieht. Auch die Münchner Olympia-Zeltlandschaft wäre ohne das wegweisende Experiment von Montreal nicht möglich gewesen. Kleinmanns Band eröffnet eine architekturhistorische Lektüre, die ob der Jahrhundertleistung Gänsehaut-Momente bereitet.