EU-Kommissionspräsident Juncker blickt in Stuttgart nicht ohne Melancholie auf seine Amtszeit zurück.

Stuttgart - Warum wird Juncker mit „Exzellenz“ angeredet, fragte eine junge Frau mit Blick auf das Gästebuch des baden-württembergischen Landtags, in das sich der EU-Kommissionspräsident am Mittwochabend eintrug. „Besuch Seiner Exzellenz des Präsidenten der Europäischen Union, Herrn Jean-Claude Juncker, anlässlich der „Rede zur Zukunft Europas“, stand dort zu lesen. Gute Frage. Die Protokoll-Leute des Landtags wussten Bescheid: Der Luxemburger, der als erster Kommissionspräsident überhaupt im Landesparlament vorbeischaute, kam zu seinem Arbeitsbesuch im Range eines ausländischen Regierungschefs.

 

Was zum Beispiel einschloss, dass er auf seinem Weg vom Flughafen in die Stadt von fünf Polizeimotorrädern eskortiert wurde. „Bei einem Staatsbesuch wären es sieben Polizeimotorräder“, merkte Landtagsdirektor Berthold Frieß kenntnisreich an. Letzte, wenn auch nicht allerletzte Ehren für Juncker, der nach der Europawahl sein Amt abgeben wird. Am Nachmittag, die Fahnen vor dem Landtag waren schon lange aufgezogen, wurde es Landtagspräsidentin Muhterem Aras und ihren Getreuen noch kurzzeitig bang ums Herz, als das Radio vermeldete, die britische Premierministerin Theresa May befinde sich im Anflug auf Brüssel. Würde Juncker den Stuttgartern erneut absagen – wie im Herbst?

Seitenhieb auf Theresa May

Tat er nicht. „Ich habe Frau May ausrichten lassen, ich hätte Wichtigeres zu erledigen“, erzählte Juncker seinem Publikum im Landtag, etwa 600 Gäste waren gekommen. Auf die Briten, besser gesagt: deren politische Führung, ist der Kommissionspräsident derzeit nicht gut zu sprechen. So viele Fragen lasse ein ungeregelter Brexit offen, so viele Probleme blieben ungelöst. „Ich respektiere diese Frau“, sagte Juncker über Theresa May – und fügte maliziös hinzu: „Sie zeigt Durchsetzungsfähigkeit, nein, Durchsetzungswille.“ Ja, nicht immer eröffnet sich, wo ein Wille ist, auch ein Weg. So ergeht es der Premierministerin, die mit ihrem Brüsseler Verhandlungsergebnis im eigenen Parlament scheiterte. Juncker sagte: „Die Briten tun so, als ob die EU aus Großbritannien austreten wollte“, dabei sei es doch andersherum.

Der EU-Präsident bewegt sich etwas hüftsteif, aber sein Vortrag ist unterhaltsam auch in den ernsten Passagen. „Ich bin 2014 nach Brüssel gegangen, um etwas aufzubauen, stattdessen bin ich mit Abriss beschäftigt“, klagt er. Umso wichtiger nimmt er die Europawahl im Mai, eine echte Schicksalswahl, wie er bekräftigt. Dabei solle man jene, „die Fragen zu Europa stellen, ernst nehmen“. Nicht jeder „Europafragende“ sei auch ein „Europaablehner“. Bei der Wahl im Mai aber müsse sich ein jeder, der die Europäische Union verwerfe, die Frage stellen, wie Europa aussehe, wenn alle so wählten wie er. Das ist Junckers – etwas verklausuliert formulierte – Gretchenfrage zur Europawahl: Was ist, wenn sich die „Radikalinskis“ durchsetzen? Die Europahasser? Schafft das Zukunft? Nein, sagt Juncker. „Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der soll Soldatenfriedhöfe besuchen.“

Ein Lob für Oettinger

Dabei ist dem Kommissionspräsidenten bewusst, dass eine junge Generation nicht mehr mit der Erinnerung an alte Kriege für Europa zu gewinnen ist. Also blickt er in die Zukunft: Kein einzelnes europäisches Land werde in wenigen Jahren noch zu den wirtschaftsstärksten Staaten der Welt zählen, auch Deutschland nicht. Der Anteil der Europäer an der Weltbevölkerung werde marginal. Nur gemeinsam könne man die eigenen Werte verteidigen.

Außerdem laufe wirklich nicht alles schlecht in Europa. Veritable Erfolge seien zu verzeichnen. „Sogar der Günther ist inzwischen der englischen Sprache mächtig“, witzelte Junker über seinen Haushaltskommissar Günther Oettinger, mit dem er nach seinem Vortrag auf dem Podium saß. Europa müsse groß in großen Dingen handeln und klein in kleinen Dingen. Deshalb, merkte Juncker an, habe er auch eine Harmonisierung von europäischen Duschköpfen und Toilettenspülungen verhindert. Auch das ein Erfolg.