Schon wieder ist ein Album mit bisher unveröffentlichten Songs von Jimi Hendrix erschienen. Erscheint dieses Album nur aus erbfledderndem Marketingkalkül? Handelt es sich nur um Fingerübungen, zielloses Studiogejamme, Wegwerfmaterial gar?

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Vor ein paar Tagen griff die altehrwürdige britische BBC mal richtig daneben. Nach einem Nachrichtenbeitrag über Oscar Pistorius spielte der Sender ein paar Takte Musik und griff dabei ausgerechnet zu Jimi Hendrix’ Lied „Hey Joe“, dessen Text sich, nun ja, um einen Mann dreht, der mit der Knarre in der Hand seine Freundin erschießt. Die BBC musste sich hastig entschuldigen und gelobte brav mehr Sorgsamkeit.

 

Gab es so etwas nicht schon einmal?

Jimi Hendrix griff bekanntlich – jedenfalls auf dem Brett seiner Gitarre – selten daneben, wenngleich er jenseits der Bühne nicht gerade sorgsam mit sich umging. Der E-Gitarrist ist ein klassischer Vertreter des Fachs „schlampiges Genie“. Ob er deswegen auch den Überblick verloren hat, was er wann und warum aufgenommen hat, darf aber bezweifelt werden. Umso verblüffender, dass die Sony-Tochter Legacy das Album „People, Hell and Angels“ herausbringt, das zwölf bislang unveröffentlichte Stücke des Gitarrengotts bietet.

Denn gab es so etwas nicht schon einmal? Richtig! Vor exakt drei Jahren erschien das recht zweifelhafte Album „Valleys of Neptune“ mit ebenfalls zwölf vermeintlich ebenfalls zuvor unbekannten Hendrix-Songs. Es stellen sich somit die notorischen Fragen: Erscheint dieses Album nur aus erbfledderndem Marketingkalkül? Wäre diese Veröffentlichung im Sinne des Künstlers gewesen, der nicht nur wegen seines frühen Ablebens, sondern durchaus qualitätsbewusst ein sehr schmales Œuvre von nur drei Studioalben hinterlassen hat? Handelt es sich also nur um Fingerübungen, nicht zur Veröffentlichung bestimmtes zielloses Studiogejamme, Wegwerfmaterial gar?

Die Antwort fällt den ersten Höreindrücken nach nicht ganz so zweifelhaft aus wie bei „Valleys of Neptune“. Dies vor allem, weil „People, Hell and Angels“ eine editorische Lücke in der ansonsten bestens ausgeleuchteten Vita des Saitenmagiers schließt. Die jetzt vorliegenden Stücke stammen aus dem Interregnum zwischen dem Ende der Jimi Hendrix Experience und dem (durch Hendrix’ Tod bald beendeten) Neustart mit seiner Formation Band of Gypsys; die Band, mit der er diese Studioaufnahmen einspielte, ist jene sechsköpfige Truppe namens Gypsy Sun & Rainbows, mit der er auch seinen Auftritt in Woodstock absolvierte.

Als hartleibiger Fan wird man zugreifen müssen

Wer der treibende Kopf ist, müsste natürlich nicht auf dem Albumcover stehen. Unverkennbar in Sekundenschnelle, unikal und unerreicht ist Hendrix’ Stil auch vierzig Jahre nach seinem Tod noch immer. Das Wah-Wah-Pedal, die orgiastische Intensität fesseln nach wie vor, brillant hörbar etwa in der nun vorliegenden Version von „Somewhere“ mit Stephen Stills am Bass und Buddy Miles an den Drums.

Umgekehrt ist zum Beispiel das Stück „Somewhere“ schon auf drei posthum veröffentlichten Tonträgern veröffentlicht worden, dem Album „Crash Landing“ (von 1975!), der Doppel-CD „Axis outtakes“ und dem Box-Set „The Jimi Hendrix Anthology“. Und wenn man sich jetzt noch ins Gedächtnis ruft, dass der nun abermals publizierte Song „Hear my Train A comin’“ vom Plattenlabel frecherweise bereits vor drei Jahren auf „Valleys of Neptune“ als bisher unbekannte Novität verkauft wurde – dann könnte man dem Label fast schon Beutelschneiderei vorwerfen.

Aber als hartleibiger Fan des weltbesten E-Gitarristen aller Zeiten wird man bei diesem Album trotzdem zugreifen müssen.