Die Intendantin und Regisseurin Karin Beier unterzieht Shakespeare einer gnadenlosen Selbstbefragung: „Der Kaufmann von Venedig“ im Hamburger Schauspielhaus mit Joachim Meyerhoff in der Titelrolle.

Stuttgart - Ein Kaufmann leiht sich Geld, und als er seine Schuld nicht begleichen kann, verlangt der Geldverleiher, dass der Schuldner sich ein Pfund Fleisch aus dem Leib schneiden lasse: Nein, man kann nicht behaupten, dass Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ ein einfaches Stück sei. Der elisabethanische Meister mischt wild die Genres – Liebesgeschichte, Politkrimi, Schwank, Märchen, Mummenschanz – und bedient sich einer Figurenzeichnung, die man 2018 antisemitisch nennen muss, die allerdings Ende des 17. Jahrhunderts auch ein aufklärerisches Moment besaß: dass der Jude nämlich ein Mensch sei, unsympathisch zwar, aber dennoch ein Mensch. Am Ende ist dieser Mensch gebrochen, für Shakespeare ist dieses Ende ein glückliches: „Der Kaufmann von Venedig“ ist eine Komödie, aber zu lachen gibt es wenig. Das vielleicht unerträglichste Happy End der Literaturgeschichte. Wie geht man mit so einem Stück um?

 

Diese Frage zieht sich durch Karin Beiers Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus: Wie geht man mit so einem Stück um? Das steht nicht nur als Motto über den Proben, das wird explizit ausgesprochen. Der jüdische Wucherer Shylock (Joachim Meyerhoff) wird von Tubal (der Ex-Stuttgarter Matti Krause) mit schlimmen Nachrichten konfrontiert. Aber warum glaubt der Geldverleiher Gerüchten? Zu den Figuren passt das nicht, aber es gibt eine Erklärung. Weil Tubal Shylocks Freund ist, weiß er auch, wo dessen verwundbarste Stelle liegt: bei seiner Tochter. Und warum versucht Tubal überhaupt, Shylock mit Lügen zu verletzen? „Weil Juden Teufel sind. Sogar untereinander.“

Inszenierte Literaturwissenschaft

Beier versteht ihre Regie als ständiges Hinterfragen der Figuren. Ihre Inszenierung spiegelt ein kanonisiertes Stück nicht in die Gegenwart, sondern ist die literaturwissenschaftliche Analyse eines Textes, weswegen das Programmheft auch den Anglisten Dietrich Schwanitz ausführlich zitiert. Als Theater ist das spröde, eine Inszenierung, der man anmerkt, dass sie dem Text nicht traut, gerechtfertigt durch das Wissen, dass die regieführende Schauspielhaus-Intendantin sich schon ihr gesamtes Theaterleben an Shakespeare abgearbeitet hat und es sich entsprechend leisten kann, die eigene Skepsis zum Thema zu machen.

Allerdings steht Beier ein Ensemble zur Verfügung, das genau versteht, worum es der Regisseurin geht, das aber auch in der Lage ist, allein durch seine Präsenz eine Spannung aufrechtzuerhalten, die der Inszenierung im Ganzen abgeht. Der vom Wiener Burgtheater ausgeliehene, mit seinem Melle-Solo jetzt auch zum Berliner Theatertreffen eingeladene Joachim Meyerhoff glänzt als Shylock. Carlo Ljubek ist als Kaufmann Antonio ein weicher Typ, der sich voller Lebensüberdruss danach zu sehnen scheint, dass man ihm das Herz aus der Brust schneide. Angelika Richter gibt die höhere Tochter Portia mit der Giftigkeit einer Frau, die sich Toleranz leistet, weil sie weiß, dass diese Toleranz folgenlos bleibt. Und Gala Othero Winter ist als Shylocks Tochter Jessica ein poröses Wesen, das dem Reigen der Abwertung und des Hasses panisch gegenübersteht – und am Ende in einer Trümmerlandschaft zurückbleibt.

Pogrom in Venedig

Zwar ist die Inszenierung ein textgenaues Hinterfragen von Shakespeares Vorlage, aber irgendwann kann auch sie sich bei aller intellektuellen Kälte dem Wissen nicht mehr verschließen, dass die Beziehung zwischen Europa und dem Judentum vor allem eine Gewaltbeziehung ist. Also schlagen die Bürger von Venedig in einer Pogromszene Johannes Schütz’ Bühne kurz und klein. Und Jessica sitzt alleine an der Rampe, während weit hinten das von Meyerhoff angeführte Ensemble Shakespeares verlogenes Happy End spielt. „Merkt ihr, wie es bröckelt, euer altes Bild der Welt?“, fragt Winters Jessica zitternd, und das ist keine Komödie mehr, natürlich nicht.