Jedes Jahr erleiden drei Millionen Mädchen die Verstümmelung ihrer Genitalien, weil es die Tradition so will. Die Kenianerin Gladys Kiranto berichtet, warum der grausame Brauch in Afrika so schwer auszurotten ist.

Stuttgart – - Schon seit vielen Jahren kritisieren Menschen- und Frauenrechtsgruppen die traditionelle Verstümmelung weiblicher Genitalien. In Afrika wird das Ritual vor allem im westlichen und nordöstlichen Teil des Kontinents gepflegt. Die Kenianerin Gladys Kiranto zählt zu denjenigen Afrikanerinnen, die dem grausamen Brauch den Kampf angesagt haben.
Frau Kiranto, die Genitalverstümmelung von Mädchen ist in Kenia 2001 noch unter Präsident Daniel Arap Moi im Kinderschutzgesetz verboten worden. 2011 sind die Gesetze erneut verschärft worden. Sind die Mädchen nun sicher?
Die Lage in Kenia hat sich etwas verbessert. Wenn den Behörden eine Beschneidung von Mädchen angezeigt wird, können sie die Verantwortlichen vor Gericht bringen. Es drohen jahrelange Haftstrafen und Strafgelder bis zu 100 000 Kenianische Schilling (900 Euro). Das Problem ist, dass viele Beschneidungen geheim vorgenommen werden, die Leute verstecken sich bei der Zeremonie. Einige Volksgruppen, auch meine, die Massai, sind überzeugt davon, dass diese Praxis zu ihrer Kultur gehört. Wir kämpfen dagegen an. Ich schätze, dass in meiner Heimatregion Kilgoris im Rift Valley jedes Jahr 100 Mädchen beschnitten werden, und das in einem Einzugsgebiet von 300 000 Menschen.
Laut UN geht die Rate der Genitalverstümmelung in Kenia zurück, aber noch haben 27 Prozent aller Kenianerinnen im Alter von 15 bis 49 Jahren diese Verletzung erlitten. Warum ist die Abschaffung so schwierig?
Eine Frau ohne „den Schnitt“ ist keine gute und keine richtige Frau: So glauben es die meisten Massai. Es ist für unbeschnittene Massai-Frauen sehr schwierig, einen Ehemann aus ihrer Volksgruppe zu finden. Mit der Genitalverstümmelung werden die Frauen ihrer Gefühle beraubt. Es besteht der Glaube, dass sie sich dann nicht von anderen Männern angezogen fühlen und ihrem Ehemann für immer treu bleiben. Sie werden zur Abhängigen ihres Mannes.
Sie selbst haben sich gegen das Ritual aufgelehnt. Wie kam es dazu?
Als ich zehn Jahre alt war, haben meine Eltern über die Beschneidung gesprochen. Aber ich wollte unbedingt weiter zur Schule gehen. Die Genitalverstümmelung ist eng verknüpft mit der frühen Verheiratung und der Beendigung des Schulbesuchs. Auch für mich war ein älterer Ehemann vorgesehen. Ich riss von zuhause aus. Mein Vater ist in der Familie eine mächtige Autorität, er hat 50 Kinder mit sieben Frauen.
Mit zwölf Jahren sind Sie dann doch Opfer des Rituals geworden. Können Sie dazu etwas sagen?
Es ist ein sehr schmerzhafter Eingriff, verbunden mit hohem Blutverlust. Ich wäre daran beinahe gestorben, ich war einen Tag besinnungslos. Die Beschneidung erfolgt ohne Narkose oder Gabe von Medikamenten, es ist kein Arzt dabei. Sie ist hochriskant, wird oft mit verschmutzten Klingen durchgeführt. Viele jungen Frauen sterben daran oder an den Folgen.
Später haben Sie sich vom Elternhaus abgenabelt. Sie wurden Geschäftsfrau und haben den Kampf gegen die Genitalverstümmelung aufgenommen.
Ich möchte, dass junge Massai-Mädchen zur Schule gehen. Wir haben in Kilgoris ein Schutzzentrum für 128 Mädchen im Alter von fünf bis 18 Jahre aufgebaut. Darunter sind junge Frauen, die vor der Genitalverstümmelung weggelaufen sind, aber auch Waisen. Wir unterhalten eine Schule, arbeiten mit den Behörden zusammen. Wir haben aber auch Unterstützer in Deutschland, Österreich und den Vereinigten Staaten. Das Projekt heißt Tareto Maa – übersetzt „Hilfe für Massai“. Es ist ein Graswurzelprojekt.
Erhalten Sie Drohungen von Eltern?
Wir haben Wachmänner, und wir berichten Vorfälle der örtlichen Polizei. Wir wollen keine Feindschaft zu den Eltern aufbauen, im Gegenteil. Wir versuchen, die Kinder wieder in Kontakt mit ihnen zu bringen. Der Pastor im Ort hilft uns dabei als Vermittler. Oft sagen die Eltern nach ein, zwei Monaten, sie wollten ihre Kinder wiedersehen. In jüngster Zeit hatten wir acht Fälle, wo die Eltern ihre Kinder zur Bewährung zurückbekommen haben, weil sie nach zwei bis drei Jahre Kontrolle nachweisen konnten, dass sie vom alten Glauben an die Genitalverstümmelung abgekommen sind. Sie werden aber trotzdem weiterhin kontrolliert.
Wird die Praxis der Genitalverstümmelung jemals ausgerottet werden?
Unter den Frauen, die jünger als 20 sind, nimmt die Rate derer rasch zu, die davon nicht betroffen sind. Auch das Leben der Massai wandelt sich in rasantem Tempo, parallel zur starken Wirtschaftsentwicklung in Kenia. Wir sind ein Hirtenvolk, aber viele Massai werden jetzt Geschäftsleute oder Farmer, die Mais, Kartoffeln oder Gemüse für den Export anbauen. Ich selbst bin traditionell aufgewachsen, man hat mir als Kind einen unteren Schneidezahn entfernt und mir Löcher in meine Ohrmuscheln eingebrannt, damit sie große Ringe tragen können. Das ist eine alte Sitte bei uns Massai. Der fehlende Zahn ist ein Schönheitssymbol, dient aber auch in Hungerzeiten dem Einflößen von Wasser bei Kranken. Es sind alte Bräuche, sie werden zunehmend in Frage gestellt.

Stuttgart -