Schon in der Antike gab es ein Briefgeheimnis. Statt in Papier, wurden wichtige Dokumente in Keilschrift in Tonumschlägen verborgen. Ein neu entwickelter mobiler Computertomograf gibt nun erstmals Einblicke in diese verborgenen Schrifträtsel.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Keile, eingedrückt in Tontafeln, waren in der Antike die übliche Methode, um in den Stadtstaaten und Großreichen Mesopotamiens Wirtschaft- und Verwaltungsnotizen zu machen oder Urkunden sowie astronomische Lehrbücher zu verfassen. 

 

Die ersten solcher Keilschriften wurden vor 150 Jahren entziffert. Doch harren noch viele der äußerst komplexen Tontafelzeichen der Entschlüsseung, auch deshalb weil sie von ihren Verfassern vor tausenden von Jahren versiegelt worden waren.

Mobiler Computertomograf für Archäologen

Schon im antiken Mesopotamien gab es eine Art Briefgeheimnis. Statt in Umschlägen aus Papier verbargen die Menschen damals wichtige Dokumente in Tonumschlägen, von denen manche bis heute ungeöffnet erhalten sind.

Ein von Forschern aus Hamburg neu entwickelter mobiler Computertomograf gibt nun erstmals Einblicke in diese verborgenen Keilschriften und enthüllt ihre Rätsel.

Das leistungsstarke und transportable Röntgengerät könnte die archäologische Forschung revolutionieren. Das Gerät wiegt knapp über 400 Kilogramm und ist damit deutlich leichter als bisherige Computertomografen mit der erforderlichen Strahlungsintensität, wie die Universität Hamburg mitteilt. Normalerweise brigen es solche Hightech-Geräte auf ein Gewicht von mehreren Tonnen.

Die neue Technik soll dazu dienen, versiegelte Keilschrifttafeln aus dem antiken Mesopotamien in Museen zu untersuchen und zu lesen. Das Gerät namens Enci („Extracting non-destructively cuneiform inscriptions“) erschließe für die „Altertumsforschung eine Fülle bisher unzugänglicher Quellen“, heißt es weiter.

Verborgene Keilschrift im Inneren eines antiken Tonumschlags werden mithilfe des mobilen Computertomografen Enci sichtbar. Foto: Universität Hamburg/UWA/K.Helmholz
Viele Keilschrifttafeln aus der Antike stecken bis heute in intakten Tonumschlägen und konnten deshalb nicht gelesen werden. Foto: Universität Hamburg/UWA/K. Helmholz

Erster Einsatz im Pariser Louvre

Erstmals im Forschungseinsatz war der von Experten des Exzellenzclusters „Understanding Written Artefacts“ (UWA) der Universität Hamburg und des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (Desy) entwickelte Computertomograf vom 1. bis 9. Februar 2024 im Pariser Louvre. In dem weltberühmten Museum lagern rund 12 000 Keilschrifttafeln aus Mesopotamien im Alter von etwa 4000 Jahren. Zwölf davon wurden nun näher untersucht.

Computertomografen arbeiten mit Röntgenstrahlen. Gedacht ist das Gerät nach Angaben der Universität für die zerstörungsfreie Analyse von mesopotamischen Keilschrifttafeln, die noch verschlossen in ihren originalen Tonumschlägen stecken und deshalb bislang nicht gelesen werden konnten.

Waagrechte, senkrechte und schräge Keile auf Tontafeln

Weltweit erster Friedensvertrag nach der Schlacht von Kadesch (1274 v. Chr.), in Keilschrift (Altorientalische Abteilung des Archäologischen Museums Sarayburnu in Istanbul. Foto: Imago/Imagebroker
Tafel mit Keilschrift aus dem Assyrischen Reich. Foto: Imago/Zoonar
Steintafel mit Keilschrift aus Persepolis im Archäologischen Museum, im iranischen Teheran. Foto: Imago/Imagebroker

Als Keilschrift bezeichnet man in der Schriftforschung ein vom 4. Jahrtausend v. Chr. bis mindestens ins 1. Jahrhundert n. Chr. benutztes Schriftsystem, das im Vorderen Orient (Naher Osten und Vorderasien) zum Schreiben verschiedener Sprachen verwendet wurde.

Grundelemente der Keilschrift sind waagrechte, senkrechte und schräge Keile. Textträger sind zumeist Tontafeln, die durch das Eindrücken eines Schreibgriffels in den weichen Ton beschrieben wurden.

Älteste Schriftzeichen der Welt

Halterung für eine Tontafel mit Keilschrift aus der Hethiter-Zeit im Museum in Bogazkale, Türkei. Foto: Imago/Imagebroker
Keilschrift aus Assyrien und Babylonien, digital restaurierte Reproduktion eines Sammelbildes von circa 1900 Foto: Imago/H. Tschanz-Hofmann

Keilschrifttafeln aus dem antiken Mesopotamien seien die ältesten Schriftartefakte der Welt, erklärten die Wissenschaftler. Um die darauf festgehaltenen Informationen vor unbefugten Blicken zu schützen, begannen die Menschen im dritten Jahrtausend v. Chr., diese Tafeln in Tonumschläge  zu stecken.

Einige der tönernen Artefakte seien nie geöffnet worden - zum Beispiel, wenn ein Schreiben sein Ziel nicht erreichte. Mit der Folge, dass heute rund um den Globus versiegelte Keilschrifttafeln mit unbekanntem Inhalt in Museen und Archiven lagern.

Neue Einblicke in antiken Alltag

Keilschrifttafel im Hethitermuseum für anatolische Zivilisationen in Ankara. Foto: Imago/Imagebroker
Antike Keilschrift auf einem Stein im Nationalmuseum Teheran.  Foto: Imago/Imagebroker

„Forscher, die sich wie ich mit der Geschichte Mesopotamiens beschäftigen, hat es immer frustriert, dass es so viele Keilschrifttafeln gibt, die sich über Jahrtausende erhalten haben und die wir trotzdem nicht lesen können“, sagt Cécile Michel, eine der Leiterinnen des Forschungsprojekts.

Die Assyriologin ist Professorin am Centre national de la recherche scientifique in Paris und Mitglied des Exzellenzclusters. „Durch persönliche Briefe gewinnen wir neue Einblicke in den Alltag und die Lebensumstände der Menschen damals.“

So funktioniert das Röntgengerät

Mithilfe von Röntgenstrahlung bildet Enci die Keilschrifttafel und ihren Umschlag in vielen einzelnen Schichten ab. Am Computer zeigt sich der leere Raum zwischen der Schrifttafel und dem Umschlag auf jedem Einzelbild. Werden die Bilder zusammengesetzt, wird die Oberfläche der Keilschrifttafel im Inneren des Umschlags sichtbar – mitsamt der Schriftzeichen darauf.

Die größte Herausforderung beim Bau des mobilen Computertomografen sei die Abschirmung der Röntgenstrahlung gewesen, erläutert der Chefentwickler Christian Schroer vom Institut für Nanostruktur- und Festkörperphysik der Universität Hamburg. Die Leichtbauweise des Geräts habe mit dem erforderlichen Strahlenschutz kombiniert werden müssen. Denn nur in Leichtbauweise sei das Gerät für den gewünschten Einsatz geeignet. „Kaum ein Museum schickt seine Sammlung auf Reisen.“