Das lang anhaltende nasskalte Wetter hat etwa 80 Prozent der Jungstörche im Land das Leben gekostet. Ute Reinhard, die Weißstorchbeauftragte des Regierungspräsidiums Tübingen, spricht von einem Katastrophenjahr.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Tübingen - Mitte Mai hat Ute Reinhard mit zunehmender Unruhe die Wettervorhersagen für den deutschen Südwesten verfolgt. Vom 22. bis 26. Mai schließlich brach die erste längere Kälteperiode herein, die besorgte Weißstorchbeauftragte des Regierungspräsidiums Tübingen fuhr danach viele Neststandorte ab, stellte aber erleichtert fest: „Das haben fast alle Jungen überlebt.“

 

Die zweite Kältewelle war noch schlimmer

Dann, mit Beginn des ersten Juniwochenendes, kam die zweite Kältewelle, noch regenreicher und kälter als die erste. „Da war mir klar, dass die meisten Jungtiere sterben werden“, erinnert sich die Storchenexpertin. An einem Samstag fuhr sie hinaus und kontrollierte die Bestände. Sie fand kaum noch Leben in den Nestern. „Da hab’ ich Depressionen gekriegt“, bekennt Ute Reinhard. Sie sei immer noch sehr betroffen, sagt sie.

Inzwischen ist das ganze Ausmaß des stillen Naturdramas sichtbar. Wohl 80 Prozent aller in diesem Jahr geschlüpften Jungstörche sind erfroren oder verhungert. Knapp 600 Brutpaare hat es gegeben, die Überlebensrate liege durchschnittlich bei 0,4 bis 0,5 Jungvögeln pro Paar, zählt Ute Reinhard auf. Lediglich in Mannheim und im Kreis Konstanz sei die Überlebensrate etwas besser. Im Frühjahr 2012 waren noch 1447 Jungstörche in Baden-Württemberg durchgekommen. Das Jahr 2013 werde, wie schon 2007, als „Katastrophenjahr“ für die Storchenpopulation in Baden-Württemberg in Erinnerung bleiben.

Die Störche kommen früh aus Südspanien zurück

Die Ursache für das Massentiersterben könnte mit der Klimaveränderung zu tun haben, auch wenn es dafür bisher keinen wissenschaftlichen Beweis gibt. Bekannt ist, dass speziell die Storchenpaare aus dem deutschen Südwesten nicht mehr wie früher überwiegend auf dem afrikanischen Kontinent überwintern, sondern in großer Zahl in Südspanien. Die Folge ist, dass die Tiere nach Ende der Winterzeit zwei bis drei Wochen früher zurück in Baden-Württemberg eintreffen und mit der Brut beginnen. „Die Tiere sind dann entsprechend gefährdet“, sagt Kai-Michael Thomsen, wissenschaftlicher Mitarbeiter im schleswig-holsteinischen Michael-Otto-Institut und Storchenexperte des Naturschutzbundes Deutschland, mit Verweis auf zurückliegende Wetterkapriolen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts werten Thomsen und seine Kollegen die Daten von Sendern aus, mit denen Weißstörche seit 2009 versehen wurden. Ziel ist es, mehr über die Flugrouten und die Sterblichkeitsgefahren der Tiere herauszufinden.

Drei Wochen nach dem Schlüpfen beginnt die kritische Phase

Die kritische Phase für Neststörche beginnt laut Thomsen im Alter von etwa drei Wochen. Sie seien dann zu groß, um von den Elternvögeln „gehudert“, also mit dem Körper wärmend bedeckt werden zu können. Zugleich verfügten die Tiere noch über kein eigenes, dichtes Federkleid. Komme es dann zu Kälteeinbrüchen, laufe womöglich das Nest mit Wasser voll, weil beim Nestbau Plastikstücke oder andere ungeeignete Materialien verwendet wurden, dann sei der Tod der Jungstörche meist besiegelt. „Das ist ein Phänomen, das man öfter hat“, sagt Thomsen mit Bedauern. Dieses Jahr sei es allerdings „besonders schlimm“. In anderen Bundesländern habe es auch Verluste gegeben, beispielsweise in Schleswig-Holstein; doch das Sterben in Baden-Württemberg und Bayern sei 2013 ohne Vergleich. Ein Trost sei, sagt Thomsen, dass die Storchenpopulation in Deutschland in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Das habe mit den sinkenden Sterblichkeitsraten unter jenen Altvögeln zu tun, die mittlerweile in Spanien überwintern. Der Tierbestand sei trotz allem nicht gefährdet.

Das sieht auch Ute Reinhard so. Sie verweist allerdings darauf, dass das Jungstorchsterben noch nicht ganz vorbei sei. „Von denen, die überlebt haben, werden auch nicht alle durchkommen“, sagt sie. Grund sei, dass „arbeitslose Eltern“, die ihre Brut verloren haben, jetzt verstärkt andere Nester angriffen und Brutpaare in Kämpfe verwickelten. In dieser Woche seien zwei Jungvögel bei Hohentengen (Kreis Sigmaringen) Opfer eines Angriffs geworden. Weshalb das geschieht, sei ebenfalls nicht schlüssig erforscht , sagt die Storchenbeauftragte. Eifersucht von Eltern, die ihre Jungen verloren, auch „Langeweile“ könne eine Rolle spielen. Die Lehre aus 2013 müsse sein, den Störchen künftig ausreichend Lebensraum zu lassen. Vor allem Maismonokulturen seien eine Bedrohung.

Informationen über Störche im Internet

Ute Reinhard, die Weißstorchbeauftragte des Regierungspräsidiums Tübingen, unterhält eine Internet-Informationsseite über Vorkommen und Situation der Störche zwischen Ulm und Bodensee. Eine virtuelle Karte mit Erklärungen und Detailinformationen findet sich unter www.stoerche-oberschwaben.de

Der Storch ist das Wappentier des Naturschutzbundes und genießt schon deswegen besondere Aufmerksamkeit. Die sieben Tiere, die seit 2009 mit Satellitensendern ausgestattet wurden, heißen Gustav oder Michael. Auf der Homepage des NABU stehen mit Satellitenbildern illustrierte „Reisetagebücher“ der Tiere (www.nabu.de/aktionenundprojekte/weissstorchbesenderung/reisetagebuecher/index.html.) Die Seite soll auch Spenden generieren